Donnerstag, 26. Februar 2009

Der richtige Maßstab

10.10.82
Jakobusbrief 2, 1-13

Der Schreiber des Jakobus-Briefes stellt das praktische Glaubensleben in die Mitte seiner Aussage an dieser Stelle. Er tut das nicht wie der Apostel Paulus, indem er seinen Finger auf eine wunde Stelle legt und erklärt, was ihr da tut, das ist falsch. Er konstruiert einen Fall: "...Wenn da nämlich in eure Gemeindeversammlung ein Mann mit goldenen Ringen an seinen Fingern und in prächtigem Gewand eintritt und neben ihm ein Armer in schmutzigem Kleid ...“ Der Verfasser des Briefes überläßt es dem Leser festzustellen, ob es einen solchen oder vergleichbaren Fall in seiner Gemeindeversammlung gibt. Es kann für uns deshalb auch gleichgültig sein, dem dieser Brief einmal gegolten hat. Wichtig ist, ob dieser Fall in der beschriebenen oder in ähnlicher Weise bei uns geschehen kann oder tatsächlich geschieht. Ja, es ist vielleicht nicht einmal nötig, daß das hier in der Kirche so ist - wir müßten über diesen Brief auch nachdenken, wenn wir nur zu Hause oder im Beruf ein solches Geschehen nicht ausschließen können.
Der reiche Mann mit den Ringen an den Fingern ist ein Symbol für den Reichtum und die Macht dieser Welt - ob er gut oder schlecht angezogen ist, ob er selbstbewußt, eitel oder schüchtern und gleichgültig gegen Äußerlichkeiten zu uns kommt, das ist hier nicht wichtig. Es kommt darauf an, daß er unter uns hier auf dieser Welt hohes Ansehen genießt, weil er Macht hat, außergewöhnliche Leistungen vollbracht hat, eine gesellschaftliche Position einnimmt.
Eigentlich ist es doch selbstverständlich, daß man einem solchen Menschen aufmerksam begegnet, ihn freundlich begrüßt und versucht, ihm den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu machen. Wir wären weltfremde Schwärmer, ja es wäre töricht, wenn wir anders verfahren wollten. Ich glaube, daß unsere Schriftstelle ein solches Verhalten nicht bemängeln will.
Sie wendet sich vielmehr dagegen, daß wir den armen, schmutzigen Menschen so ganz anders behandeln. Auch er, so wie er im Brief beschrieben ist, gilt als ein Symbol für den von uns abhängigen, außerhalb unserer gesellschaftlichen Gruppierungen lebenden Menschen, für einen vielleicht unangepaßten Menschen, für jemanden, der keine Macht hat, der kein Ansehen genießt, sondern Verachtung erfährt unter uns Menschen, für jemanden, der nach unserer Auffassung nichts leistet und nirgendwo in unserer Gesellschaft eine Position einnimmt. Er kann dann sauber und adrett gekleidet sein, selbstbewußt oder vielleicht sogar unverschämt auftreten, demütig und bescheiden sein - er bleibt der Arme in unserem konstruierten Beispiel.
Kennen Sie solche Menschen? Haben wir auch einmal Gäste von beiderlei Art?
Jakobus wendet sich dagegen, daß wir uns dem reichen Gast zuwenden, ihm alle unsere Aufmerksamkeit schenken - aber den armen fast vergessen, jedenfalls nachlässig, vielleicht sogar demütigend behandeln - er ist ja nichts.
Vielleicht gibt es einige unter uns, die jetzt spontan meinen, das kommt bei mir nicht vor.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man gerade dann besonders nachdenken sollte. Wohl hat man den Grundsatz anerkannt, daß man auch in dem armen, einflußlosen Menschen seinen Nächsten, seinen Bruder, seine Schwester in Christo ehren soll. Es ist uns aber oft nicht bewußt, wie verletzend wir gerade den von uns abhängigen Menschen gegenüber treten. Wir kommen einfach nicht auf den Gedanken daß wir verletzen, demütigen - ja, oft auch nur übersehen.
Jakobus meint, wenn wir so verfahren, dann messen wir mit zweierlei Maß und wir maßen uns an, andere Menschen zu verurteilen.
Ich denke, daß Geld, Macht oder Leistung durchaus akzeptable Maßstäbe sein können. Wenn wir dann mit solchen Maßen messen, können wir einen armen Menschen ohne Macht und Leistungsfähigkeit durchaus übersehen.
Der springende Punkt ist einfach der, daß für einen Christen ein solcher Maßstab - wenn er überhaupt für ihn gilt - nicht der entscheidende und der einzige sein darf.
Jakobus beginnt ja das Kapitel mit dem Hinweis auf den Glauben der Christen und bittet, daß sie diesen Glauben nicht durch die Rücksicht auf das Ansehen von einzelnen Personen bestimmen lassen sollen. Ich sagte es schon: Es geht um das Glaubensleben der Christen.
Der Kern dieses Glaubens ist beschlossen in dem Anerkenntnis Gottes als des Herrn und Schöpfers dieser Welt mit seiner Liebe zu den Menschen, die er in seinem Sohn Jesus Christus offenbart hat und in der Erkenntnis, daß seine Liebe zu uns in uns lebendig werden muß in der Liebe zu unseren Mitmenschen. Jakobus spricht von dem vornehmsten Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst (3. Hos. 19,18 und Matth. 2 22,39) .
Es ist für ihn ein königliches Gebot. Wenn dieses Gesetz nun für uns Christen gilt, dann muß es Vorrang vor allen anderen haben - und wir dürfen uns fragen, wie es dann mit den Maßstäben aussieht, die wir in unserem alltäglichen Leben anwenden. Passen sie zu der Erfüllung dieses Gesetzes, machen sie es gar unerfüllbar oder erschweren sie es, dieses Gesetz anzuwenden?
Das Königliche an diesem Gesetz sehe ich in zweierlei. Einmal ist dies der König unter den Gesetzen, weil sich alle anderen aus ihm ableiten lassen und dann niemals mit Gottes Schöpfung in Konflikt geraten können. Andererseits aber ist der Gesetzgeber ein König, der auf alles andere verzichten kann und nur dies eine, allerdings sehr anspruchsvolle Gesetz erläßt.
Anspruchsvoll ist dieses Gesetz nicht, weil es uns etwa belasten würde. Ohne die Liebe der Menschen untereinander wäre die Welt längst zerstört. Anspruchsvoll ist dies Gesetz deshalb, weil wir schwach sind und andere Mächte unsere Bereitschaft und Fähigkeit, Liebe zu leben und allen Menschen weiterzugeben, einschränken, unterminieren, auflösen. Es fordert uns und unsere Kraft heraus und es erhebt einen hohen Anspruch an uns - dies königliche Gesetz.
Jakobus faßt dann zusammen, was er uns sagen will, indem er erklärt, daß das Gesetz eine Einheit ist, die man erfüllt oder verletzt, bei der es kein mehr oder weniger gibt. Wem es gelingt, seinen Nächsten zu lieben - der wird alle anderen Gesetze ebenfalls erfüllen. Wem das nicht gelingt, der wird immer wieder von neuem - wie es in der Sprache des Gerichts heißt -straffällig.
Und so klingt dann diese Briefstelle aus mit der Zusage, daß Erbarmen über das Gericht triumphiert. Das Strafgericht gibt es auch im Neuen Testament. Auch Christus hat immer wieder erklärt, daß Gott straft. Aber über diesem Gericht, über diesem Strafen steht Gottes Gnade, Gottes Erbarmen über uns alle. -
Dies alles sollen wir bedenken, wenn wir täglich mit unseren Mitmenschen umgehen. Wir werden das auf recht unterschiedliche Weise tun und immer wieder auch andere Menschen verletzen. Das liegt in der Unvollkommenheit unserer Natur und der Welt, in der wir leben.
Wenn uns aber diese Schriftstelle heute deutlich vor Augen geführt hat, wo der entscheidende Maßstab unseres Lebens zu finden ist und wie er aussieht, dann vermögen wir diese Abweichungen festzustellen, dann können wir unser eigenes Leben und unser Verhalten immer wieder danach ausrichten - und all die anderen Maßstäbe bleiben auswechselbare Hilfsmaßstäbe, die ihre eigentliche Maß- und Werteskala erst durch den zentralen Wert der christlichen Nächstenliebe erhalten. -
Möge uns Gott dazu verhelfen. Amen.

Lieber, himmlischer Vater,
wir danken dir für die Liebe, die du uns zeigst, und bitten dich, gib uns die Kraft, sie weiterzugeben, wo immer wir einander begegnen. Amen.

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