Selbstverständnis des Predigers

Zunächst möchte ich zwei Predigthörer zu Wort kommen lassen. Die langjährige Leiterin unserer Gemeindebücherei vermittelte mir in den ersten Jahren meiner Predigttätigkeit das Besondere meiner Art zu predigen. Mein Standpunkt sei die Mitte der Gemeinde. Man habe nicht den Eindruck, die Gemeinde werde "angepredigt“, sondern vom Prediger hineingenommen in seinen Umgang mit dem Text. Die andere Stimme kommt von einem mir fremden Predigthörer aus einer Gemeinde, in der ich wohl öfters als Gastprediger zu Besuch war. Es dürfte in den Jahren zwischen 1990 und 2002 gewesen sein, daß er mir sagte, in meinen Predigten komme immer die Gegenwart vor.

Im Herbst des Jahres 1975 fragte mich unser Pfarrer, ob ich bereit sei, an Stelle eines tödlich verunglückten Presbyters Mitglied des Presbyteriums zu werden. Ich wandte ein, da gäbe es gewiß Geeignetere in der Gemeinde. Nach einiger Zeit kam er wieder mit demselben Anliegen. Ich sagte zu. Wenige Wochen danach ging es dann um den Lektordienst in der Gemeinde. Man kenne mich von der Arbeit im Ausschuß für modernen Gottesdienst und aus meiner Mitwirkung im Gottesdienst selbst. Ich entgegnete, als Presbyter übernähme ich ja sowieso Lesungen, weshalb dann noch ein Amt als Lektor. Er meinte, ich hätte dann auch die Möglichkeit zu predigen. Am Ende der Ära habe ich dann zugestimmt und wurde im Februar 1976 als Lektor eingeführt, im selben Gottesdienst, in dem unser erster Predigthelfer ordiniert wurde.

Wie kam ich dazu, dies Amt anzunehmen? In beiden Fällen lagen die Überlegungen gleich. Für beide gilt, daß ich ein religiös engagierter Mensch bin, an meiner Kirche einiges auszusetzen habe und mich deshalb verpflichtet fühle, bei Bedarf in ihr tätig zu sein. In der Funktion des Presbyters glaubte ich als Verwaltungsmann dazu beitragen zu können, daß der Pfarrer nicht zu sehr mit Veraltungsaufgaben überlastet wurde. Auf jeden Fall war es hilfreich. Dann habe ich einige Erfahrungen als Vorsitzender von Arbeitsgruppen und -gemeinschaften in Beruf und Berufsverbänden gesammelt. Das war hilfreich, als das Presbyterium mich für die Zeit der Pfarrvakanz zum Präses wählte.

Für das Predigtamt war ein gewisser Boden bereitet. Der Umgang mit Literatur und Geschichte war mir von der Schule her vertraut. Eine Neigung zum Philosophischen hatte sich auch entwickelt, die sich in den 70er Jahren der soziologischen Philosophie zuwandte.

In beiden Fällen habe ich die Aufgabe nicht gesucht, sie wurde mir angetragen.
Zum Predigtdienst fühlte ich mich nicht berufen und ich empfand auch kein Sendungs­bewußtsein, der Gemeinde eine ewige Wahrheit verkündigen zu müssen. Meine Motivation lag eher auf der Linie, als schlichtes Gemeindeglied herausgerufen worden zu sein mit meinen Kräften zum Verständnis der biblischen Botschaft beizutragen. "Aus der Mitte der Gemeinde" hatte die Leiterin der Gemeindebücherei gesagt. Sie hat das richtig erkannt.
In meinen Predigten wird das deutlich darin, daß ich von Gott, von Jesus, von mir spreche und von dem Glaubenszeugnis unserer Vorfahren, das in der Bibel niedergelegt und bezeugt ist. Ich rede "die Gemeinde" selten an, eher als "Sie und ich" - "Sie" - "Wir". Die Anrede "liebe Gemeinde" war mir deshalb schwer möglich, weil ich mich dann hätte selbst mit anreden müssen. Nur in Zusammenhang mit Amtshandlungen, in dem die Gemeinde als Gemeinschaft aufgerufen ist als Zeuge oder als Heimat, geistliche Heimat der Täuflinge oder der Paare, habe ich die Gemeinde als solche unmittelbar angesprochen.
Von vornherein habe ich mich aus dogmatischen Erörterungen herausgehalten, soweit das möglich war. Von meinen persönlichen Möglichkeiten her habe ich sowohl die dogma­tischen Elemente den Theologen, den Pfarrern überlassen wie auch die Mission in ihrer ganzen Breite. Meine Möglichkeit der Mission besteht in dem, was andere als Vorbild für sich an meinem Handeln erkennen. Von theologischer Seite kam anfangs der Einwand, es fehle das "Ich aber sage euch!" Das ist wahr. Ich habe das mit den Hinweisen auf Sendungsbewußtsein und Berufung schon beschrieben.

Was aber ist nun die Motivation für mein Predigen? Es ist zunächst die Gewißheit, daß ohne die Botschaft Jesu Christi die Erde von der Menschheit bereits zerstört worden wäre. Es gilt also, sie so umfassend wie möglich zu verbreiten. Dann habe ich die Erfahrung gemacht, daß diese Botschaft viel mit unserem Leben zu tun hat. Eine wichtige Begründung für das Predigtamt der Laien (Nicht-Theologen) in der Kirche lautet, daß sie mehr von der Lebenswirklichkeit in der Verkündung erkennen lassen können als es die auf ihre Kirche konzentrierten Theologen könnten. Ein Laie geht anders an die Verkündigung heran als ein Theologe. Allerdings habe ich auch einige Einflüsse aus meinem Berufsleben; auf meine Predigten feststellen können:
Bei meiner Tätigkeit in der Kriegsopferfürsorge klagte mir eine Kriegerwitwe, dem Staat sei ihr Mann nur 160,— DM wert - aber man könne doch ein Menschenleben nicht mit Geld bezahlen - etwa so hoch war damals die Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Das sei doch ungerecht! Ich habe ihr entgegnet, sie habe recht. Die Welt sei ungerecht. Daran sei nichts zu ändern. Was wir tun könnten, sei, diese Ungerechtigkeit zu mildern, soweit wir können. In der Predigt lautet diese Erkenntnis: Der Heiland hat die Welt nicht geheilt. Nach wie vor ist das Unheil in der Welt. Aber er hat das Heil in die Welt gebracht und uns den Weg dahin gezeigt.

Meine Frau machte mich auf Hans Jonas’ Text "Der Gottesbegriff nach Auschwitz" - Festvortrag aus dem Jahr 1984 - aufmerksam. Er kommt zu dem Schluß: "Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingab, hat Gott nichts mehr zu geben: Nun ist es am Menschen ihm zu geben. Und er kann dies tun, indem er in den Wegen seines Lebens darauf sieht, daß es nicht geschieht ..., daß es Gott um das Werdenlassen der Welt gereuen muß." (suhrkamp taschenbuch 1516, 3.A. 1988, S. 47).
Ein weiterer Aspekt läßt sich aus der Schöpfungsgeschichte ableiten, "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht!“ - 1. Mose 28. In der Predigt habe ich gesagt, hier könne nicht herrschen im Sinne von beherrschen und mit Gewalt und Unterdrückung regieren bedeuten, sondern müsse wohl aus heutiger Sicht so verstanden werden, daß die Menschen die Erde und die ganze Schöpfung lieben sollen, durch Liebe herrschen. Diese Liebe übernimmt Verantwortung.

Hier ist die Verbindung zu meinem letzten Arbeitsgebiet der Stadtentwicklungsplanung. Aus weltlicher Sicht zeigen folgende Werke diese Richtung an: Rachel Carson "Der stumme Frühling" (1962), Dennis Meadows u.a. "Grenzen des Wachstums. Bericht an den Club of Rome" (1972), Carl Friedrich von Weizsäcker "Wege in der Gefahr" (1976), Erhard Eppler "Ende oder Wende« (1975), Erhard Eppler "Wege aus der Gefahr" (1981), "Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten" (1980), Hans Jonas "Das Prinzip Verantwortung" (1979), Herbert Gruhl "Ein Planet wird geplündert" (1978), Herbert Gruhl "Das irdische Gleichgewicht" (1982), Joseph Huber "Die Regenbogengesellschaft" (1985), "Das Überleben sichern. Bericht der Nord-Süd-Kommission" (1980), Weltkommission für Umwelt und Entwicklung "Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtlandbericht" (l987), Ernst Ulrich von Weizsäcker "Erdpolitik" (1989), Stephan Schmidheiny "Kurswechsel" (1992), Al Gore "Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde" (1992). Das ist nur eine kleine Auswahl. Vor dem Hintergrund der hier geschilderten Entwicklung hatte ich die berufliche Aufgabe mit meinen begrenzten Kräften an Wegen in die Zukunft einer Stadt von 160.000 Einwohnern mitzudenken.

Etwa in den letzten zehn Jahren vor 1999 – meinem Ruhestand - hatte ich schwerpunkt­mäßig die Bereiche Kultur und Weiterbildung sowie Regionale Zusammenarbeit und in der letzten Zeit die europäische Einigung zu bearbeiten. So ist es nicht verwunderlich, wenn einzelne Aspekte aus diesem umfangreichen Arbeitsfeld in Predigten einfließen - allerdings nicht so unmittelbar wie im Fall der Kriegerwitwe. Hier ist nun der Punkt an dem die Verbindung zur Philosophie aufzunehmen ist.

Im Jahre 1945 war ich zehn Jahre alt. Im Rückblick meine ich, daß in diesem Jahr mein bewußtes Leben begann. In den Apriltagen fiel mein Vater während der letzten Kämpfe um Nürnberg. Erst im Jahre 1947 erhielten wir die Nachricht. Es ist deshalb nicht verwunder­lich, daß ich bei wachsendem Bewusstwerden der Vergangenheit und der Welt, in der ich lebte, zunehmend danach fragte, wie die Vergangenheit sich so entwickeln konnte, wie sie es tat, und wie die Welt, in der ich lebte, funktionierte. Mich beschäftigten vor allem die Menschen und die Bedingungen, unter denen sie lebten. In der Schule bekam ich entscheidende Impulse. So erhielten wir Hinweise auf Gustave Le Bons „Psychologie der Massen" (1895) und Ortega y Gassets "Aufstand der Massen" (1930) - und ich meine auch Karl Jaspers „Die geistige Situation der Zeit" (1930). Das geschah bezeichnenderweise im sogenannten "Politischen Unterricht" - zu anderer Zeit auch "Sozialkunde" genannt. Es wurde also deutliche Ansätze gezeigt, die unmittelbar zurückliegende Zeit des Nationalsozialismus zu erklären. In dieser Zeit kümmerte ich mich auch um den Philosophen aller Philosophen, Sokrates. In einer Philosophie-Arbeitsgemeinschaft versuchte uns der Direktor Karl Jaspers "Der philosophische Glaube“ (1947) nahe zu bringen - mit wenig Erfolg. Für eine solch anspruchsvolle Literatur waren wir wohl noch nicht reif. Sie erschien uns zu abstrakt. - Dennoch ist bereits durch diese Hinweise der Grund gelegt für eine künftig intensivere Beschäftigung mit der Philosophie.

Im Jahre 1956 verließ ich die Schule und begann meine Ausbildung zum Verwaltungs­beamten. Vor diesem Hintergrund bekam die Existenzphilosophie besondere Bedeutung. Ohne Heidegger gelesen zu haben, ist mir die von ihm geprägte Beschreibung menschlichen Daseins als "die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da“ ("Sein und Zeit“, 1927) als Kennzeichnung der Grunderfahrung der Existenzphilosophie wichtig geworden. Zentrale Bedeutung erhielt in dieser Zeit Sören Kierkegaard. Mit seiner Behauptung, daß das Nichts Angst gebiert, erläutert er das tiefe Geheimnis der Unschuld, daß sie zur gleichen Zeit Angst ist. Träumend plant der "Geist seine eigene Wirklichkeit, aber diese Wirklichkeit ist Nichts, aber dieses Nichts sieht die Unschuld beständig außerhalb seiner. .. . Den Begriff Angst sieht man fast niemals in der Psychologie behandelt, ich muß deshalb darauf aufmerksam machen, daß er gänzlich verschieden ist von der Furcht und ähnlichen Begriffen, die sich auf etwas Bestimmtes beziehen, während die Angst „die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit ist.“ („Der Begriff Angst", 1844).
"Nur der Christ weiß, was unter Krankheit zum Tode verstanden wird. Er bekam als Christ einen Mut, den der natürliche Mensch nicht kennt - diesen Mut bekam er, indem er Furcht lernte vor dem noch Entsetzlicheren. ... Das Entsetzliche aber, welches die Christen kennen lernen, ist die Krankheit zum Tode. ... Die sogenannte Christenheit eine bloße elende Ausgabe des Christlichen ist. ... Das Unglück ist nicht, daß das Christliche nicht verkündet wird ..., sondern es wird so verkündet, daß in der Menschenmenge zum Schluß überhaupt nichts dabei gedacht wird. ... Zuerst kam die Unwissenheit, ein ewiges Selbst zu haben; dann das Wissen, ein Selbst zu haben, worin doch etwas Ewiges ist. ... dieser Unterschied hingehört unter: das Selbst, das eine menschliche Vorstellung von sich selbst hat oder dessen Maß der Mensch ist. Der Gegensatz hierzu war: ein Selbst Gott gegenüber, und dieses wurde der Definition der Sünde zugrunde gelegt. Nun kommt ein Selbst Christus gegenüber - ein Selbst, das doch verzweifelt nicht es selbst sein will oder es verzweifelt selbst sein will. Denn Verzweiflung an der Vergebung der Sünden muß hinzuführen sein entweder auf die eine oder die andere Formel der Verzweiflung, die der Schwachheit oder die des Trotzes; die der Schwachheit, die im Ärgernis nicht zu glauben wagt, die des Trotzes, der im Ärgernis nicht glauben will.“ („Die Krankheit zum Tode“, 1849).
Zu diesen Autoren kamen noch Paul Sartre, Simone de Beauvoir. Hinzu kommt in dieser Zeit noch Aristoteles, der mir mit seiner klaren Systematik sympathischer und leichter zu lesen ist als Sokrates mit seinen Dialogen. Das ist gewissermaßen meine philosophische Biographie bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Mit der Übernahme einer neuen beruflichen Aufgabe in der Stadtentwicklungsplanung kam für mich die Frankfurter Schule in den Blick. Es fing an mit Jürgen Habermas’ "Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) und in der Folge vielen seiner Werke, Ernst Bloch "Das Prinzip Hoffnung" (1959). Es kamen hinzu Norbert Elias "Über den Prozeß der Zivilisation" (1936), Erich Fromm "Haben oder Sein“ und Ulrich Beck „Risikogesellschaft“ (1986). Die Lektüre dieser Autoren, ein "Studium“ war es gewißlich nicht, hat meine berufliche Arbeit gefördert.

Indirekt und manchesmal auch direkt wirkte sie auch auf meine Predigten. Es ist deshalb kein Wunder, daß meine Predigten die Gegenwart im Blick hatten. Aber was ist die biblische Grundlage, auf der mein Predigen steht? Ich denke da vor allem an das dreifache Gebot der Liebe - zu Gott, zu den Menschen und zu meinen Feinden (Mt.22,34 - 40; Mk 12,2 Mk 12, 28 - 34; Lk 10, 25 - 28;Mt 5, 43 - 48; Lk 6, 27 - 28, 32 - 36). Aus dem alten Testament ist der Ruf Gottes überliefert: "Tröstet, tröstet mein Volk! Spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; . .."(Jes. 40,1 f). Dies war der Predigttext meiner Ordinationspredigt am 23.02.1986. "Suchet der Stadt Bestes ... und betet für sie zum Herrn; denn, wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl." (Jer. 29,7). Dies war der Predigttext, den Superintendent Dr. Witschke seiner Predigt zu meiner Ordination zugrundelegte. Die Vulgata gibt die Verse wieder wie folgt:
et quaerite pacem civitatis ad quam transmigrare vos feci et ora pro ea ad Dominum quia in pace illius erit pax vobis (Hieremias Propheta 29,7).
Mir war die Vergewisserung wichtig: Es ist - zumindest der VULGATA nach - das Beste der staatlichen oder auch der bürgerschaftlichen Gemeinschaft - "civitas" – gemeint. Dennoch - oder gerade deswegen - fühle ich mich von diesem Text besonders angesprochen.
Schließlich ein letzter Beleg in dieser Auswahl:
"... gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bi n bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ (Mt. 28,19 f). Natürlich gibt es viel mehr Stellen in der Bibel, die für mein Predigen wichtig sind. Doch diese Auswahl mag als Grundlage genügen.

In der Bilanz stelle ich fest, daß ich dankbar bin für alle Möglichkeiten, die mir mit Begabung und Ausbildung gegeben wurden. Ich sehe darin eine Bevorzugung gegenüber denen, die diese Möglichkeiten nicht hatten. Wenig angenehm empfand ich aber, wenn ausgewiesene Theologen - in freundlicher Solidaritätsgeste - uns Predigthelfern erklärten, auch sie seien Predigthelfer. Das konnte geschehen, wenn ein Hochschulprofessor nicht ordiniert war und um ordiniert zu werden, Predigthelfer wurde. Mit dem neuen Ordinationsgesetz ist für den Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland - EKiR - diese Frage wohl gelöst.
Der Predigthelfer, oder jetzt der Prädikant, ist Laie, also kein Theologe. Ich sehe in diesem Amt ein konstituierendes Element evangelischer Kirche, in der der Grundsatz des Priestertums aller Gläubigen verwirklicht ist. Luther stellt fest:“... Christus ... nimmt den Bischöfen, Gelehrten und Konzilien sowohl das Recht als auch die Macht, über die Lehre zu urteilen, und gibt sie jedermann und allen Christen insgemein. ... Bischöfe, Papst, Gelehrte und jedermann haben Macht zu lehren, aber die Schafe sollen urteilen, ob es Christi Stimme ist, was sie lehren oder die Stimme der Fremden ...“ ("Daß eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, über alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, aus der Schrift begründet und nachgewiesen“, 1523).

Andererseits halte ich es nicht für glücklich, daß zunehmend das Amt eines Laienpredigers als ein Posten angesehen wird, den zu erlangen einen hierarchischen Aufstieg bedeutet. Da ist es nicht mehr weit bis zum Vergleich mit dem Theologen und Gemeindepfarrer. Man meint dann, man müßte auch das tun können, was der Pfarrer tut. Manche Presbyterien sind da großzügig und lassen solche Bestrebungen zu oder unterstützen sie sogar. Neuerdings liegt auch die Landeskirche auf dieser Linie, wenn sie argumentiert, daß wegen knapp gewordener Pfarrstellen verstärkt Prädikanten beschäftigt und eingesetzt werden müßten. In einzelnen Notfällen - auf dem Lande oder während einer Pfarrvakanz etwa - mag es bei besonderer Eignung des Prädikanten möglich sein, ihm hier eine gewisse Bewegungsfreiheit zuzugestehen.

Das Amt des Laienpredigers", so wie ich es als Predigthelfer 16 Jahre lang ausgeübt habe und wie es als Prädikant heute in der EkiR ausgeübt wird, sollte deutlich den Laiencharakter behalten und sich möglichst beschränken auf Verkündigung (Gottesdienste), Verwaltung der Sakramente (Abendmahl und Taufen) sowie die damit im Zusammenhang stehende Seelsorge. Trauungen möchte ich in diesem Sinne als vertretbar gelten lassen.
Ich unterscheide zwischen menschlichem Glaubenszeugnis und dem Inhalt der Botschaft Jesu. Ich unterscheide Theologie und Seelsorge von der Organisation der Kirche. Eines ist menschlich und weltlich, das andere weist über uns hinaus. Das zu unterscheiden ist wichtig für jeden Prediger - so meine ich.

Der Umfang dieses Textes mag Anlaß geben zu vermuten, ich habe meine Person in den Vordergrund stellen wollen, wo doch das Wort aus sich heraus wirken sollte. Ich möchte diese Vermutung nicht ganz von der Hand weisen. Zugleich aber mache ich darauf aufmerksam, daß auch Hintergrund für diesen Text die Erkenntnis ist, wie begrenzt meine Möglichkeiten sind, Verbindliches auszusagen. Ich bleibe ein unvollkommener Teil meiner Kirchengemeinde - mit allen Fehlern und Schwächen. Was dagegen anderen als Stärke erscheinen mag, sind im Grunde kaum etwas anderes als die mir von Gott gegebene Begabung und die Chancen, die mir das Leben gab. Persönliches Verdienst war das Wenigste - und das war nur möglich dadurch, daß meine Frau dieses aufwendige Engagement mittrug, ja auch ertrug.

Am Ende bleibt zum Selbstverständnis meines Predigens, daß es unvollkommen war und bleibt, Menschenwerk eben. Dennoch war es ein gut Teil dessen, was ich für die Gemeinschaft, für meine Kirche tun konnte. Fasse ich alles zusammen, dann kann ich - wie so oft - den Kindervers zitieren, den unsere Mutter uns als Kinder beibrachte, wenn wir einen Lampionumzug machten:
In der Welt ist dunkel,
leuchten müssen wir,
du in deiner Ecke,
ich in meiner hier.

(Helmut Böhme)