Dienstag, 10. Februar 2009

Frieden mit dem Kreuz - Christsein heute

24.03.1991
Palmsonntag

Als Predigttext hören wir heute den Bericht über den Einzug Jesu in Jerusalem, wie er uns im Evangelium nach Johannes überliefert ist.
Wir hören aus dem 12. Kapitel die Verse 12 - 19:

(12) Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem käme,
(13) nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen:
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!
(14) Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht,(Sacharja 9,9):
(15) "Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen."
(16) Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben stand, und man so mit ihm getan hatte.
(17) Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.
(18) Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.
(19) Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Herr, unser Gott, lieber himmlischer Vater,
du hast deinen Sohn zu uns gesandt, damit er uns von unserer Sünde befreit. Die Menschen haben ihn jubelnd begrüßt - und danach ans Kreuz geschlagen. Sie haben ihn getötet. Du aber hast ihn auferweckt und ihn in deine Herrlichkeit gerufen. Damit hast du uns frei gemacht, aus der Kraft deiner Liebe zu leben und für die Liebe unter uns Menschen einzutreten. Hilf uns, diesen Weg zu gehen! Amen.

Heute ist Palmsonntag. Es beginnt die letzte Woche der Passionszeit,
die Karwoche.
Der Schwabe Edward Mörike dichtete im 19. Jahrhundert:
0 Woche, Zeugin heiliger Beschwerde,
Du stimmst so ernst
zu dieser Frühlingssonne,
du breitest
im vergnügten Strahl der Sonne
des Kreuzes Schatten
auf die lichte Erde.
Eduard Mörike (1804 -1875) "Werke", Leipzig 1941, 2 Bände, Insel Verlag, Bd.1, S. 103
Für ihn wirft das Kreuz von Karfreitag einen Schatten auf die strahlenden Tage zuvor - und auf die leuchtenden Farben der sprießenden Natur.
De öfter ich mich mit dieser Geschichte beschäftige - vgl. Mt 21,1-8; Mk 11,1-10; Lk 19,28 - 38; Joh 12,12-19 - , umso stärker bewegen mich die Worte der Juden auf die Frage des Pilatus, was er mit Jesus tun solle - wenige Tage danach. Die Hohenpriester, die Ältesten und die mit ihnen sind, rufen "Hinweg mit ihm. Kreuzige ihn!" -Joh 19,15; vgl Mt. 27,22; Mk 15,13; Lk 23,23 - .
Ich denke daran, wie leicht Menschen beeinflußt werden können, wenn sie in großer Zahl zusammen sind. In meiner Jugend habe ich einige Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Zeit gemacht. Im Osten Deutschlands gab es noch bis in jüngste Zeit hinein Erfahrungen dieser Art. Mir steht immer noch ein Bild aus den Fernsehberichten über den Golfkrieg vor Augen: Mohammedanische Frauen mit ihren Kopftüchern recken die geballten Hände in die Höhe und rufen. Dem :Kommentar ist zu entnehmen, daß sie fordern, Israel mit Gas anzugreifen), Diese Frauen wüßten nicht, was sie taten. -
Ein Kritiker des Predigttextes weist darauf hin, daß die ersten Christen aus einem unscheinbaren Vorgang, Jesu Weg nach Jerusalem, einen triumphalen Einzug gemacht hätten - Wolfram Weisse in "Assoziationen", Band 1, Stuttgart.1978, 3,80 f -. Der Ritt auf dem Esel, die Rufe der Menge - nein, so sei es in Wahrheit nicht gewesen. Heute könnte die Kirche eigentlich auf diese Ausschmückung verzichten.
In der Tat: Jesus zu Fuß auf dem Weg in die Stadt, unbemerkt, umgeben von seinen Jüngern - damit wäre seine Botschaft nicht unglaubwürdig geworden. Unser Bericht ist aber kein Dokumentarbericht, sondern tatsächlich der lebendige Bericht über den Glauben der ersten Christen. Deshalb ist er aufgeschrieben worden, deshalb wird er verkündet und deshalb wird jedes Jahr von neuem über ihn gepredigt.
Jesus reitet auf einem Esel, dem Reittier des Friedenskönigs (Sacharja 9,9), und die Menge begrüßt ihn mit Worten, die einem König gelten, ursprünglich einem Befreier des Volkes vom Doch der Fremdherrschaft, der Israel in die Weltherrschaft einsetzt.
So arm und bescheiden ist der Einzug Jesu also nicht. Dia Festpilger gehen zu Fuß. Daß Jesus reitet, hebt ihn von den anderen ab, hebt ihn heraus aus den anderen. Sie sehen ihn. Der Esel als Reittier gilt tatsächlich als Gegensatz zum feurigen Schlachtroß - aber als . ein Zeichen der friedlichen Königsmacht ohne Krieg.
Die Christen der ersten Jahre bekunden mit diesem Bericht, daß sie an Jesu Auftrag in dieser Welt glauben und ihn ausstatten möchten mit allen Zeichen seiner Würde als Messias. Für sie gilt auch die jüdische Logik, daß Wunder die Zeichen Gottes sind, die Zeugnis für die Beauftragung von Menschen durch Gott ablegen. Deshalb ist es wichtig für sie, daß die Auferweckung des Lazarus in Betanien unter den Mensche die Jesu Einzug begleiten, bekannt wird und angemessen gewürdigt werden kann.
Wir leben heute In einer anderen Zeit. Können wir uns vorstellen, wie verschieden unsere Zeit heute von der Jesu und seiner Zeitgenossen ist? Mir ist erst bei der Vorbereitung dieser Predigt bewußt geworden, daß von der Zeit her wir weiter von Jesus entfernt sind - über 1990 Jahre vor Christi Geburt - als der Erzvater des jüdischen Volkes Abraham - etwa 1.900 Jahre vor Christi Geburt.
Wir gehen auf das Jahr 2000 zu und stehen vor einer Zeitwende.
Die Überzeugungskraft von Zeichen, und Wundern hat nachgelassen. Unsere Zeit ist geprägt von der Erkenntnis der Aufklärung, daß jedermann die Freiheit haben müsse, von seiner Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen. Es mehren sich die Anzeichen, daß Industrie und Kapital ihre gesellschaftsprägende Kraft verlieren werden. Die Erwerbstätigkeit reicht nicht mehr aus, die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft tu bestimmen. Die einen sprechen vom postmodernen Zeitalter, die anderen vom Informations- und Medienzeitalter. Genaues weiß keiner.
Eines ist sicher, was früher als Ziel des Lebens eines Menschen ausreichte, das genügt heute nicht mehr. Kriege, Natur- und Finanzkatastrophen zerstören materiellen Wohlstand. Berufe verlieren ihr gesellschaftliches Ansehen, andere entstehen neu. Unser Wissen und Können veraltet schneller.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, daß es entscheidend darauf ankommen wird, wie wir Menschen miteinander umgehen und mit der Welt, in der wir leben.
Ein Amerikaner meinte, die seelischen Grundlagen unserer Gesellschaft müßten sich ändern. Nachdem Besitz, Wissen, Können und Leistung bisher die Gesellschaft geprägt hätten, müßte künftig die Fähigkeit zum Umgang miteinander, die Bereitschaft, aufeinander zu hören und einander zu «erstehen, die Sensibilität gegenüber anderen Menschen und der Schöpfung insgesamt entwickelt werden. Liebe empfangen und Liebe geben, Annehmen und Teilen, das seien die tragenden Eigenschaften des Menschen für die Zukunft. Der Amerikaner heißt Erich Fromm und sein Buch "Haben oder Sein" (Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. 1976. Stuttgart).
Ich muß daran denken, daß Jesu Botschaft eine Botschaft der Liebe ist, die hineingesagt ist in eine Welt voller Besitz- und Machtansprüche, Krieg und Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung. Sie wird bezeugt von Planschen, die nur diese Welt kennen und nur diese Sprache sprechen. Müssen wir uns dann tatsächlich wundern, wenn uns Jesus als König, als Sieger und Streiter für das Reich Gottes begegnet? Wir brauchen uns darüber nicht zu wundern, sollten aber durch diese zeitgebundene Sprache hindurch Jesu gelebte Botschaft seines Lebens und Sterbens - und seiner Auferstehung erkennen: Gott liebt uns über den Tod hinaus, er ist mitten unter uns, er begleitet uns in ein Leben danach.
Wir haben eben das Lied gesungen "Du großer Schmerzensmann ... laß deine Wunden sein die Heilung unserer Sünden, laß uns auf deinen Tod den Trost im Tode gründen". Für viele von uns ist es schwer, sich auf den Schmerzensmann" einzulassen. Mir geht der Bericht einer Frau nicht aus dem Sinn, die schreibt, daß ihre Begegnung mit Jesus geprägt sei von der Passionszeit, der Leidenszeit Jesu und ihr Verhältnis zum Christentum vom Kreuz, das für sie den furchtbarsten Ausdruck dieser Leiden und Qual darstellt. Das Kruzifix - ein Symbol des Schreckens! Das Kreuz wird zum Marterholz, zu einem Instrument der Schmach, der äußersten Erniedrigung! Ich weiß nicht, ob andere ebenso empfinden. Mir scheint aber durchaus, daß die Kreuze auf den Gräbern unserer Friedhöfe für viele Menschen eher ein Zeichen des Todes als des Lebens, eher ein Zeichen des Abschieds als ein Zeichen der Verbundenheit, eher ein Zeichen der Trauer als der Hoffnung sind.
Das Kreuz ist ganz sicher das Zeichen für die äußerste Grenze, an die Menschen in ihrem Erdenleben gehen können und oft geführt werden - die Grenze des zu ertragenden Leidens und die Grenze zum Tode.
Das Kreuz Christi aber ist Zeichen der Auferstehung - nach dem Weg durch die Leiden und über diese "äußerste Grenze hinaus. Es ist das Zeichen und Siegel der Liebe Gottes zu uns Menschen. Diese Botschaft aber geht oft Ober unsere Kraft hinaus.
Selbst die Jünger verstehen das erst spät, Johannes sagt "... als Jesus verherrlicht war." Die Wächter des Judentums sehen die Wirkung Jesu - und sie werden später ihre Konsequenzen ziehen.
Wir Christen haben heute eine große Chance: In einer sich wandelnden Welt können wir neue Formen der Verkündigung finden, die der Botschaft von der Liebe Gottes eher gerecht werden als die der Vergangenheit. Ich möchte nicht so weit gehen wie eine Gemeinde am Niederrhein, die das Kreuz aus dem Kirchenraum entfernte, weil es zu einem Zeichen der Qual und Unterdrückung, von Machtanspruch und Flachtausübung geworden sei. Aber ich möchte aufmerksam jenen Menschen zuhören, die verdeckte Seiten der biblischen Botschaft zu entziffern versuchen.
Jürgen Moltmann beginnt seine Kreuzestheologie mit einer "Theologie der Hoffnung", Dorothee Sölle vertritt den politischen Auftrag der Theologie und ist eine der vielen Frauen, die uns die Bibel mit den Augen einer Frau zu lesen lehrt - ihre Bücher "Stellvertretung" und "Leiden" sind wichtige Wegzeichen. Aus Lateinamerika erreichen uns Signale, die um die Welt gehen "Theologie der Befreiung" (Gustavo Gutierrez); "Jesus Christus, der Befreier" (Leonardo Boff). Hören wir also hin auf diese Botschaften von der Liebe Gottes und ihrer befreienden Kraft, die eigentlich die immer alte Botschaft, sind Jesu Leben, Tod und Auferstehung. Wenn wir das Hinhören gelernt und unsere Aufmerksamkeit geschärft haben, werden wir auch im alten Kleid der Bibel die neue Botschaft finden. Es ist tatsächlich eine Botschaft der Freude.
Es hat mich beschäftigt und anhaltend bewegt: Bei verschiednen Taufen in den vergangenen zwei Jahren haben Eltern immer wieder ein Lied gewünscht:
Danke für diesen guten Morgen ... danke, daß ich dein Wort verstehe ... danke, daß deinen Geist du gibst ...
Das letzte Mal war es im Januar dieses Jahres, drei Tage vor Ablauf
des Ultimatums gegenüber Saddam Hussein. Meine Frau meinte noch: "Sprich nicht vom Krieg. Das wird eine zu große Belastung für die Eltern." Ich habe vom Krieg gesprochen, ich habe auch davon gesprochen, daß dieser Krieg - wenn er ausbrechen sollte - die Ausmaße eines dritten Weltkriegs annehmen könnte. Den Taufeltern habe ich dann gedankt für die Wahl des Taufspruchs "...alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt"(Mk 9,23b) und für die Wahl dieses Liedes. Ich habe ihnen gesagt, daß ich wünschte, dieses Lied möge mit aller Fröhlichkeit und Dankbarkeit gesungen werden - an diesem Tag und an allen der kommenden Wochen und Monate, ja auch der Jahre - in Krieg und Frieden, in Not und Überfluß, in Krankheit und Gesundheit. Die Mutter hat sich nach dem Gottesdienst bei mir bedankt - ich weiß nicht, ob sie damit auch diese Worte meinte.
Von den Kirchenmusikern wird dieses Lied und sein Verfasser kritisch bewertet. Auch ich habe so meine Schwierigkeiten. Seit ich es aber mit den Augen und Ohren - vielleicht auch mit dem Herzen junger Eltern zu singen versuchte, ist es mir sehr vertraut geworden. Ich möchte, daß es zu einer Verbindung zwischen Kirche und jungen Menschen werde - zu einer lebendigen Verbindung.
Das Lied, das wir als letztes singen werden, bezeugt das segnende Handeln Gottes an uns Menschen. Sein Dichter, Jochen Klepper (1903 - 1942), hat es Pfingsten 1938 geschrieben - und für mich bleibt es verbunden mit dem letzten Tagebucheintrag. Klepper war ein sensibler, feinsinniger Mensch, der sich herzlich an allen schönen Dingen freuen konnte. Der Brutalität der nationalsozialistischen Herrschaft war er nicht gewachsen und schied im Dezember des Jahres 1942 gemeinsam mit seiner jüdischen Frau und deren Kind aus erster Ehe freiwillig aus dem Leben. Er schreibt:
Wir gehen heute Nacht
gemeinsam in den Tod.
Über uns steht
in der letzten Stunde
das Bild des segnenden Christus,
der um uns ringt.
In dessen Anblick
endet unser Leben.
Jochen Klepper
"Unter dem Schatten deiner Flügel"
dtv 1207, München.2.A. 1983, S.1133
Dies ist kein Lebensschicksal, das jubeln läßt - aber Hoffnung und Trost geben kann. In Not und Verzweiflung dürfen wir Christus für uns, auch stellvertretend für uns eintreten lassen. Dazu war er hier auf dieser Erde.
"Freude unter dem Kreuz" - für den Christen ist das heute nicht das laute Jubeln, das Hosianna-Rufen, das morgen umschlagen kann in das "Nieder mit ihm! Kreuzige ihn!" Für den Christen ist die Freude unter dem Kreuz eine Freude, die vom Kreuz, vom strahlenden Kreuz her kommt, eine eher stille, aber sehr beständige Freude.
Darüber aber können wir nun wirklich froh sein und sollen uns gerade unter dem Kreuz freuen. "Jesu meine Freude ..." . Möge er uns immer wieder von neuem zur Freude werden! Amen.

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