Dienstag, 22. September 2009

Prüfstein für den Glauben

30.12.1984 1. Sonntag nach Weihnachten

Predigttext aus dem Evangelium nach Lukas in der Einheitsübersetzung der katholischen und evangelischen Kirche:
Lk 2, 25 - 39
(25) In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels, und der Heilige Geist ruhte auf ihm.
(26) Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe.
(27) Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war,
(28) nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten:
(29) Nun läßt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
(30) Denn meine Augen haben das Heil gesehen,
(31) das du vor allen Völkern bereitet hast,
(32) ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
(33) Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden.
(34) Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.
(35) Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.
(36) Damals lebte auch eine Prophetin namens Hanna, eine Tochter Penuels aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt;
(37) nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.
(38) In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Lieber himmlischer Vater, dein Sohn ist Mensch geworden. Wir wissen das - und dennoch wissen wir es nicht. Sei du bei uns in dieser Stunde und laß uns erfahren, was die Ankunft deines Sohnes für jeden von uns bedeutet. Amen.
Das Weihnachtsfest liegt hinter uns. Der 24., 25. und 26. Dezember 1984 - diese Tage sind vergangen. Ist auch die Botschaft vergangen, die in den Worten der Einheitsübersetzung lautet: Heute ist euch der Retter geboren ... Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade (Lk. 2, 11, 14) ?
Vergangen ist diese Botschaft nicht. Sie lebt seit fast 2.00C Jahren unter den Menschen -und auch heute lebt sie in uns allen. Wir wären sonst nicht hier. Sie hat die Welt erhalten zum heutigen Tag. Das ist meine Überzeugung. Gewiß, wir Menschen haben diese Botschaft oft mißbraucht - aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft gemacht (Walter Jens "Assoziationen", Bd.1, Stuttgart. Radius.1976, S. 7). Im Namen Jesu Christi wurde gemordet und Terror in der Welt verbreitet. Zugleich aber ist die Liebe, wie Jesus sie verkündet hat, zu einer Weltmacht geworden, die niemand mehr leugnen kann, die auch niemand mehr einfach übergehen kann - mit der jeder rechnen muß.
Unsere Geschichte von Simeon und Hanna schließt an die Weihnachtsgeschichte an. Die Botschaft der Weihnachtsgeschichte lautet in der für uns ungewohnten Fassung der Einheitsübersetzung: " ... Heute ist euch ... der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr (Lk 2,11). ... Verherrlicht ist Gott der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade (Lk 2,14)."
Wir werden nach den Wirkungen dieser Botschaft fragen.
Die für mich zentrale Stelle unseres Predigttextes ist das Zeugnis des Simeon:
Nun läßt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden, wie dein Wort es verheißen hat, denn meine Augen haben das Heil geschaut, das du geschaffen hast, damit alle Völker es sehen: ein Licht, das die Heiden erleuchtet und eine Verherrlichung deines Volkes Israel.
Wie kommt Simeon dazu, dies von dem kleinen Jesuskind zu sagen? Der Geist hat es ihm offenbart. Das soll heißen, Gott, der Herr, hat ihm den Blick für das Wesentliche geöffnet. Mehr noch: Simeon bezeugt, was er sieht. Die Eltern des Jesuskindes staunen über diese Worte. Sie können nicht verstehen, was Simeon meint. Simeon erkennt das, und er wendet sich an Maria, an den Menschen, der dem Jesuskind am nächsten steht. Er sagt über dies Kind geheimnisvolle Worte: In Israel sollen viele durch Jesus zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden. Jesus wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Durch dieses Zeichen werden die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. -
Wir wissen, wer durch Jesus zu Fall kommen wird. Das sind jene Menschen, die ihre Kraft und Macht aus dieser Welt ziehen.
Wir wissen, wofür Jesus ein Zeichen ist: Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat (Joh. 3,16). Für diese Liebe ist Jesus ein Zeichen - ein Zeichen aus Fleisch und Blut, ein Zeichen aus Liebe, Not, Leid und strahlendem Sieg. Ich meine, Jesus ist mehr als ein Zeichen. Er ist der Beweis der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, zu den Menschen. Mit Jesu Ankunft bezeugt Gott diese Liebe. Er bestätigt sichtbar, hörbar und für alle erkennbar diese Liebe. Durch dieses von Gott gesetzte Zeichen werden die Gedanken der Menschen offenbar. An Jesus scheiden sich die Geister der Menschen. Die einen verfolgen, die anderen verehren ihn. Jesus ist der Prüfstein für den Glauben der Menschen an Gott.
Und dann der letzte, der Satz, der Maria treffen wird: "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen". 'Jas meint Simeon damit? Will er Maria darauf vorbereiten, daß ihr Sohn Jesus sie in den letzten Jahren seines Lebens verlassen und sich anderen Menschen zuwenden wird? – Wer von uns eigene Kinder hat aufwachsen sehen und als Mutter oder Vater hat begleiten können und dann erlebte, wie sich diese Kinder von ihren Eltern lösten und ihren eigenen Lebensweg einschlugen, der könnte eine Ahnung von dem haben, was hier das Schwert bedeuten könnte, das durch die Seele der Mutter Maria gehen soll.
Jesus wird in seinen letzten Lebensjahren ein ganz anderes Leben führen als seine Eltern es sich vorstellen konnten.
Ich glaube aber, Simeon meint das andere - das Ende Jesu in Leiden und grenzenloser Verzweiflung, den Tod eines Verbrechers am Kreuz und dann die Auferstehung und die Verherrlichung des auferstandenen Christus. Das ist eine Erfahrung, die eine Mutter nur mit äußerstem Schmerz erleben kann. -
Simeon wird uns als fromm und gerecht geschildert. Er ist also jemand, der sich ganz dem Glauben an Gott zugewandt hat. Deshalb wartet er auf die Rettung Israels. Erinnern wir uns der Worte der Verheißung: "Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht ... uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seinen Schultern. Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende (Jes. 9, 1,5 + 6)." "...Aber du, Bethlehem-Efrata ... aus dir wird einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll (Micha 5,1)."
Viele Zeitgenossen des Simeon warten wie er auf die Rettung Israels. Aber sie läßt auf sich warten. Simeon wartet geduldig - und ihm offenbart Gott durch den Heiligen Geist, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe. Auf diesen Augenblick lebt Simeon hin. Nun ist er gekommen. Niemand - auch die Eltern des Kindes nicht - kann in diesem Kind etwas Besonderes sehen. Gewiß - die Ankündigung der Geburt Jesu, die Anbetung im Stall von Bethlehem, das alles sind Zeichen des Besonderen gewesen. Die Eltern aber verstanden sie nicht.
Simeon spricht die Aufgabe Jesu in dieser Welt aus: Jesus ist das Heil Gottes für alle Völker. Gott hat dieses Heil vor allen Völkern bereitet. Für uns scheint das selbstverständlich zu sein. Aber weder zu Jesu Zeiten noch zu unseren Zeiten ist das selbstverständlich. Zu allen Zeiten gab es Randgruppen der menschlichen Gesellschaft, Arme und Schwache, Asoziale, Kranke, Farbige oder Andersgläubige, politische Gegner oder auch politische Rivalen aus dem eigenen Lager - die von Christen, die im Besitz der weltlichen Macht sind, so behandelt werden, als sei Jesus Christus nur zu den Mächtigen dieser Welt gekommen und habe nur sie von ihren Sünden erlöst. Dabei sollen alle Völker - und das heißt zugleich: alle Menschen - das Heil sehen, das in Christus auf die Welt gekommen ist.
Zugleich soll Christus das Licht sein, das die Heiden erleuchtet. Den Gottfernen wird Gott nahe gebracht. Sie werden durch das Licht, das mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, auf den Weg zu Gott geleitet.
Nach Simeon tritt nun Hanna herzu und auch sie, die Greisin, bezeugt die Sendung Jesu.
Diese Zeugnisse sollten für uns wichtig sein. Sie zeigen uns nämlich, daß Jesus von seiner Geburt an von Glaubenszeugen als Gottes Sohn erkannt worden ist. Das Kind wird zum Heil der Welt.
Können wir daran noch glauben, nahezu 2.000 Jahre nach Christi Geburt und angesichts der Gefahren, mit denen wir Menschen Gottes Natur zu zerstören drohen - durch Verschwendung und Zerstörung der Natur um uns herum, durch Massenvernichtungsmittel bisher nie gekannten Ausmaßes? Verliert nicht gerade das Leben der jungen Menschen unter uns vor diesem Hintergrund Ziel und Richtung? Verlieren nicht wir alle die Hoffnung auf eine bessere Welt?
Dies Bild ist nur die eine Seite unseres Lebens - und es ist die Seite, mit der wir der Unvollkommenheit dieser Welt angehören. Ist es nicht so, daß auch wir unsere Umwelt zerstören, daß auch wir Christen Aggressionen gegenüber unseren Mitmenschen haben?
Es gibt auch die andere Seite: Liebe, Mitleid, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Demut, Dankbarkeit - und glaubensstarke Zuversicht, daß wir trotz allem in Gottes Hand sicher leben können. Vielleicht ist diese Sicherheit eine andere, als wir sie uns vorstellen. Aber Gott ist eben doch ganz nahe bei uns. Er ist zu Weihnachten ein Mensch geworden wie wir - und er hat uns erlöst von der Verlorenheit an die Welt, in der wir leben. Durch ihn haben wir die Gewißheit: Wir sind Gottes K inder.
Ob wir jetzt mit Simeon sagen können, daß wir in Frieden scheiden können? Ich weiß nicht, ob es möglich ist. Wir sind nicht Simeon und wir sehen Gott und die Welt anders als er.
Aber eines kann uns das Zeugnis des Simeon zeigen: Mit Jesus Christus ist das Heil in die Welt gekommen. Wir können lernen, es zu sehen und zu erkennen.
Versuchen wir, mit den Augen des Simeon in Jesus Christus das Heil dieser Welt zu erkennen! Versuchen wir, unser Leben aus dieser Erkenntnis heraus zu führen! Die Welt, in der wir leben ist nicht verflucht und verdammt. Wir sind nicht verlassen und unseren eigenen Zerstörungskräften nicht hoffnungslos ausgeliefert.
Daß wir hier sind - das allein ist schon ein Zeichen der Hoffnung. Daß in Köln so viele Menschen unter dem Zeichen des Kreuzes zueinander finden - über alle nationalen Grenzen hinweg -, das ist ein Zeichen der Hoffnung.
Lassen Sie uns alle dazu beitragen, aus vielen Zeichen und Stationen der Hoffnung, der Liebe und des Friedens den Weg des Heils in Jesus Christus aufscheinen zu lassen. Möge uns Gott, der Herr, dazu verhelfen!
Lieber himmlischer Vater,
dein Wort hat uns nachdenklich gemacht. Es ist gut, daß wir dein Wort hören können und daß es Zeugen wie Simeon gibt. Wir danken dir. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Materialien:
Text: "Die Bibel" - Einheitsübersetzung. Altes und Neues Testament. HERDER. Freiburg. Basel. Wien. 1980
Kommentar: Schweizer, Eduard "Das Evangelium nach Lukas" Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht.1962, S.36-40 - NTD Bd. 3
Predigthilfen:Voigt, Gottfried "Der schmale Weg. Homiletische Auslegung der
Predigttexte. Neue Folge: Reihe I" Göttingen.1978.S.59-65
Rendtorff, Rolf in "Assoziationen", Bd. 1, herausgegeben von Walter Jens Stuttgart. 1978. S. 27 - 28
Sonstiges: Brico, Rex "Taize. Frère Roger und die Gemeinschaft". Freiburg.1979. 240 S.

Anmerkung:
Am 30.12.84 nahmen Gäste aus Ludwigshafen und Spanien am Gottesdienst teil, die bei Gemeindegliedern und im Gemeindesaal übernachteten. Sie nahmen am "Taize-Treffen" vom 28.12. bis 01.01. in Köln teil.

Montag, 6. Juli 2009

Gottes Verstockungsgebot: Gewalt aus Angst und Sprachlosigkeit - Gottes Wege führen weiter: Dank und Jubel

Trinitatis 6.6.1993
- Goldkonfirmation -

Vorbemerkung

Zum Verständnis der folgenden Texte hier einige Informationen:
Vom Januar 1993 bis März 1996 war ich Vorsitzender des Presbyteriums. In der Zeit vom 01.01. bis 30.09.1993 war die einzige Pfarrstelle unserer Gemeinde vakant. Die Konfirmanden des Jahrgangs wurden noch vom Emeritus konfirmiert, Beerdigungen von Pfarrern der Nachbargemeinden übernommen. Im übrigen haben zwei Predigthelfer die laufenden Amtshandlungen vollzogen. Auf diese Weise kommt es, daß in diesem Gottesdienst am 06.06.93 Goldene Konfirmation begangen wurde.


Kanzelgruß

Der Predigttext für den Sonntag Trinitatis steht im Buch des Propheten Jesaja im 6. Kapitel, Verse 1 bis 13:
(1) In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen
auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte
den Tempel.
(2) Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel:
mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie
ihre Füße, und mit zweien flogen sie.
(3) Und einer rief zum anderen und sprach: "Heilig, heilig, heilig
ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
(4) Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und
das Haus war voller Rauch.
(5) Da sprach ich: "Weh mir, ich vergehe“. Denn ich bin unreiner
Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn
ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen
Augen"
(6) Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende
Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm,
(7) und rührte meinen Mund an und sprach: "Siehe, hiermit sind
deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen
werde und deine Sünde gesühnt sei. "
(B) Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: "Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?" Ich aber sprach: "Hier bin ich, sende mich!"
(9) Und er sprach: "Geh hin und sprich zu diesem Volk: ‚Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht!’
(10) Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein
und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch
hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich
nicht bekehren und genesen."
(11) Ich aber sprach: "Herr, wie lange?" Er sprach: „Bis die Städte
wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen
und das Feld ganz wüst daliegt.
(12) Denn der Herr wird die Menschen weit wegtun, so daß das Land
sehr verlassen sein wird.
(13) Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals
verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen
beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird
solcher Stumpf sein."
Jes. 6, 1 - 13

Herr, unser Gott,
die Worte deines Propheten sind voller Rätsel - wir verstehen nicht,
was er meint ..'und was die Bilder ausdrücken, die er sieht.
Und doch erkennen wir, daß auch wir hören und nicht verstehen, sehen
und nicht merken. Auch in unserer Zeit sind Herzen verstockt, Ohren
taub und Augen blind - Herr, wohin führst du uns? -
Amen.
Vor einer Woche (29.05.1993) kamen bei einem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Familie in Solingen fünf Menschen ums Leben:
- Sayme Gene (4 Jahre alt)
- Hülya Gene (8 Jahre alt)
- Gülüstan Öztürk (12 Jahre alt)
- Hatice Gene (18 Jahre alt)
- Gülsen Inci, geb. Gene (27 Jahre alt)
Warum? - Wer tut das ?
- vgl. KÖLNER STADT-ANZEIGER 125 vom 01.06.1993 und 129 v. 05/06. Juni 1993)
Für mich sind derartige Ereignisse Zeichen und Auswirkungen der Angst und Sprachlosigkeit in unserer Gesellschaft . Da ist die Angst vor einer Welt, die man nicht mehr versteht. Da ist die Angst vor dem eigenen Versagen in einer Gesellschaft, in dar angeblich nur Leistung sich auszahlt - und auszahlen soll. Da ist die Angst vor allem Fremden und Unbekannten - seien es Menschen, sei es eine Kultur oder Religion, sei es auch eine bedrohlich unbekannte Zukunft - und es gibt da die Angst vor Gewalt und Zerstörung.
Und da ist auch die Sprachlosigkeit, die keine Worte mehr findet, um die Welt für das eigene Verstehen zu erklären. - Immer mehr Menschen übernehmen fremde Schlagworte und bauen aus ihnen ihr Weltverständnis. Ihr eigenes Erleben in Worte zu fassen, das fällt schwer. Noch schwerer fällt es, dann auch noch die eigenen Gefühle auszudrücken so, daß andere sie verstehen und berücksichtigen können. In solchen Fällen ist es schwer, dem eigenen Leben Inhalt und Ziel zu geben.
Weil das so ist, deshalb staut sich meiner Meinung nach  immer häufiger eine dumpfe Wut an - oder eine maßlose Langeweile. Beides führt immer wieder auch zu Gewalttaten - zu solch grausamen, sinnlosen Taten, die uns verzweifeln lassen. -
Wir können aber auf die Frage "Warum?" auch theologisch mit Worten des Propheten oder des Apostels antworten und sagen: Gott hat die Menschen verstockt. Er selbst ist es, der ihnen die Angst ins Herz gibt und die Sprache raubt - vielleicht, damit sie zur Besinnung kommen? Ich bin kein Prophet und kein Apostel. Auch mir bleibt rätselhaft, weshalb das alles kein Ende nimmt.
Nach dem Zeugnis der Bibel hat es Gott aber immer wieder so gefügt, daß Menschen den geraden Weg zu ihm nicht finden konnten, damit sie danach den Weg zu ihm umso klarer erkennen konnten.
Als Jesaja lebte, das war etwa 700 Jahre vor Christi Geburt, war Palästina geteilt. Im Nordreich Israel breiteten sich Nichtbeachtung des Mosaischen Gesetzes und grobe Mißstände in Kult und Sozialordnung immer mehr aus. Da treten Propheten auf, die in mächtiger Rede betonen, daß Opfer ohne Erfüllung von Gottes Willen wertlos seien - und zur Rückkehr zu Gottes Geboten aufrufen. Jesaja ist einer dieser Propheten. Er lebt im Südreich, in Juda, dessen Hauptstadt Jerusalem ist. In unserem Text berichtet er Verschiedenes;
- Er sieht Gott.
- Er fühlt sich in den Tempel Gottes versetzt und wird gereinigt.
- Gott ruft.
- Jesaja antwortet.
- Gott gibt ihm einen Auftrag.
Jesaja sieht Gott.
Er sieht ihn ganz anders, als die meisten von uns sich Gott vorstellen.
Mächtig ist er. Allein der Saum seines Mantels füllt den Tempel ( 9 x 27 x 13,5 m). Himmlische Wesen schweben hoch über ihm und rufen einander zu:
Heilig, heilig, heilig
ist der Herr Zebaoth,
alle Lande sind seiner Ehre voll!
Ja, das ist wohl ein himmlischer Lobgesang und wir können den Propheten verstehen, der bei diesem Geschehen verzagen will. Doch eines der himmlischen Wesen kommt auf ihn zu, berührt seine Lippen mit glühender Kohle vom Altar - und damit gewinnt Jesaja Zuversicht. Jetzt ist er frei - von seiner Sünde als Mensch vor Gott befreit. Nun hört er auch Gottes Stimme, die fragt, wen er senden soll und wer sein Bote sein soll. Jesaja ist kühn. Er sagt zu Gott: "Hier bin ich. Sende mich!" - Das ist ein ungewöhnliches Wort. In allen anderen Berufungsberichten der Bibel muß Gott den Menschen Mut machen und zusätzliche Kraft geben, damit sie seine Boten werden und seine Aufträge erfüllen. Hier meldet sich einer freiwillig.
Dann folgt Gottes Auftrag: "Geh hin zu diesem Volk und sprich: 'Höret's und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht.' Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“ Dieser Auftrag ist grausam - und auch übermenschlich. Kein Mensch kann die Herzen anderer verschließen, daß sie nicht verstehen, was ihnen geschieht. Das kann nur Gott. Der Prophet ist nur sein Werkzeug.
Wir können aus der Aufzählung viele bekannte Details herauslesen:
Verstocke das Herz,
laß ihre Ohren taub sein,
ihre' Augen blind
nicht sehen mit den Augen,
noch hören mit den Ohren
noch verstehen mit ihrem Herzen -
das alles geschieht heute noch tagtäglich auf dieser Welt - und wir fassen es nicht. -
Wir feiern heute die Goldene Konfirmation derer, die vor fünfzig Jahren konfirmiert worden sind.
Damals war Krieg. Im Jahre 1943 fiel Stalingrad - für viele die Kriegswende und der Anfang vom Ende des nationalsozialistischen Reiches.
Die letzten deutschen Soldaten verließen Afrika. Italien kapituliert vor den Westmächten und erklärt Deutschland den Krieg.
Im Warschauer Getto bricht der Aufstand der Juden aus.
Auf einer Konferenz in Teheran legen Roosevelt und Churchill und Stalin die künftige Westgrenze der UdSSR fest.
In München verteilen die Geschwister Scholl, Hans und Inge, antifaschistische Flugblätter. Sie werden verhaftet und zum Tode verurteilt.
Im gleichen Jahr wird der Farbfilm "Münchhausen" mit Hans Albers aufgeführt und "Romanze in Moll" unter der Regie von Helmut Käutner.

Nur wenige von uns können sich in diese Zeit versetzen. Wer sie selbst erlebt hat, hat vieles verdrängt und manches auch vergessen. Wir haben aber auch viel über diese Zeit gelernt und konnten viel lesen, hören und sehen. Wir wissen auch, daß vielen Menschen guten Willens die Ohren verschlossen, die Augen bedeckt und das Herz verhärtet wurde, daß sie das Unrecht um sie herum nicht erkannten.
Auffallend ist in solchen Zeiten, daß immer die anderen die Schuld tragen. Etwas Ähnliches haben wir erfahren mit dem Zusammenbruch der DDR und in der Art des Umgangs mit den Menschen, die mit dem Staat in näherem Kontakt waren. Sie lehnen die Mitverantwortung ab - und können nur bescheiden die Schuld für Unrecht und Unmenschlichkeit bei anderen finden.
Auch bei uns heute ist das so. Wen immer wir hören - kein Verantwortlicher sagt es öffentlich, es könnte sein, daß seine Entscheidungen in der Vergangenheit, daß seine Art zu denken und zu reden über die ungelösten Probleme unserer Zeit dazu beigetragen haben könnte, daß viele Menschen keinen Weg mehr sehen in die Zukunft hinein, daß viele Menschen andere suchen, die schuld sein könnten daran, daß dies so ist.
Sind wir vielleicht alle verstockt in unseren Herzen - sehen wir nicht und hören wir nicht? Mir scheint oft, als sei das tatsächlich heute der Fall.
Der Prophet Jesaja fragt nun Gott, wie lange diese Verstockung andauern wird. Und Gott gibt eine schreckliche Antwort. Das Land muß öde und verlassen sein - die Menschen müssen verschwinden. - Nur eine ganz kleine Hoffnung bleibt: Ein Stumpf - wie bei einer gefällten Eiche - wird bleiben, der als heiliger Same wirken soll. - Soweit der Prophet Jesaja. -
Doch Gottes Weg mit uns Menschen ist mit ihm nicht am Ende. Kaum hundert Jahre danach wird das Volk der Juden hinweggeführt nach Babylon. Fünfzig Jahre später kehren die Juden nach Palästina zurück. Ihr Tempel wird neu aufgebaut.
In diese Zeit fällt des Propheten Sacharja Wort: "Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sonder durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth" - Sach.4, 6 -. Ich habe im letzten Gemeindebrief etwas dazu gesagt.
Wir Christen haben tatsächlich etwas erfahren vom Ende der Verstockung der Herzen. Zu Pfingsten hat der Heilige Geist die Jünger erfüllt und ihnen die Fähigkeit gegeben, hinauszugehen in alle Welt und von Gott und seiner Liebe zu den Menschen zu berichten - ja, Zeugnis abzulegen für diese Liebe.
Der Apostel Paulus war selbst ein Verstockter. Als Pharisäer Saulus verfolgte er voller Leidenschaft die Christen und sah darin seine ihm von Gott gegebene Aufgabe. Als ihm aber bei Damaskus Christus erschien, da wandelte sich sein Herz - er erblindete - und als er das Augenlicht wieder hatte, da sah er klar. Paulus ist einer der größten Lehrer des Christentums geworden, die die Geschichte hervorgebracht hat. Und auch er spricht von der Verstockung, die Gott den Israeliten auferlegt. - Er aber weiß eine Antwort, die Jesaja so nicht kennen konnte. Für ihn ist die Verstockung eines Teils der Juden der Preis für die Errettung aller - und zwar deshalb, damit nicht einer sich gegenüber dem anderen erheben kann und sagen: "Ich aber bin den richtigen Weg gegangen" - vgl. Röm 11, 7 ff - .
Wenn das so ist, dann sind in gewisser Weise wir alle im Herzen verstockt, blind und taub. Wir hören die Botschaft von der Liebe Gottes - und es fällt uns schwer, sie in dieser Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Und doch, so blind und taub sind wir nicht. Weihnachten und Karfreitag - das "Thronbesteigungsfest Jesu" wie Pastor Grau (ein Bewerber um die vakante Pfarrstelle in seiner Probepredigt) am vergangenen Montag sagte - und Ostern haben uns als Botschaft und befreiende Realität im Glauben tatsächlich erreicht. Zu Pfingsten erfaßte die Jünger das Feuer des Heiligen Geistes - und sie gaben davon weiter.
Wenn wir heute den Sonntag Trinitatis begehen, dann wird uns diese Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist wahrlich die "Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes" lebendig werden lassen - Röm. 11,33 -: Die mächtige Erscheinung Gottes, wie Jesaja sie erlebte, und der sogenannte Verstockungsbefehl, der den Menschen Not bereitet, - dann Jesus Christus, der aus Liebe Gottes zu den Menschen den Leidensweg auf Erden unter den verstockten Menschen auf sich nimmt, um sie näher zu Gott zu bringen, schließlich der Heilige Geist - der diese Liebe lebendig werden läßt in uns allen. -
Wie Jesaja den Auftrag Gottes auf sich nahm - so nach ihm viele andere Propheten. - Auf eine ganz bescheidene, unvollkommene Weise haben auch wir uns Gott versprochen - in der Konfirmation, in der wir uns der Kirche Jesu Christi zugewandt haben.
Auch vor fünfzig Jahren gab es die Frage an die Konfirmanden - heute ist sie wohl etwas verändert in der Agende unserer Landeskirche -in der es nach dem gemeinsam gesprochenen Glaubensbekenntnis heißt: Nun frage ich euch:
"Wollt Ihr in solchem Glauben
durch Gottes Gnade bleiben und wachsen?
So antwortet: "Ja!"
Wir haben auf diese Frage alle einmal mit "JA" geantwortet: Die Gold-Jubilare unter uns, die älteren und die jüngeren Konfirmierten - und wir hoffen wohl alle, daß noch recht viele nach uns dieses "JA" sprechen können. Wir können nur hoffen und beten, daß dieses JA auch nach fünfzig Jahren und mehr lebendig ist und von uns gelebt werden kann mit allen Höhen und Tiefen, die nun einmal zum Leben gehören. Die Goldene Konfirmation ist ein solch festlicher Höhepunkt - nicht nur im Leben der Jubilare, sondern der ganzen Gemeinde.

Herr,
du bleibst unergründlich und rätselhaft. Aber du läßt das Heil leuchten in der Welt, damit die Hoffnung nicht erlösche und dein Wort seinen Weg findet.
Gib uns Kraft und Mut, als deine Boten auf dieser Welt zu leben. Amen

Kanzelsegen

Ansprache an die Goldkonfirmanden
Liebe Goldkonfirmanden,
im Jahre 1943 - mitten in den Kriegswirren - wurden Sie konfirmiert, im Glauben "gefestigt", wie das lateinische Wort im Deutschen heißen würde.
Ich bin sicher, daß Ihnen das Leben manche Mühsal bereitet, Last auferlegt und auch im Glauben nicht nur gerade Wege gewiesen hat. Und doch meint Gott es gut mit uns Menschen und er möchte schon, daß wir wissen, daß er in unserer Nähe ist, ja, daß er zu uns gehört und in uns wohnt. Als Zeichen dafür sind uns gegeben
- das Sakrament der Taufe für den Beginn des guten Werkes Gottes an uns,
- die Konfirmation, als unsere Zustimmung und Antwort auf Gottes Werk: Ja, Gott, du hast gut angefangen - arbeite weiter mit mir!
- das Sakrament des Heiligen Abendmahls als Gottes Zustimmung und innigste Zuwendung zu uns Menschen, daß nichts uns von ihm trennen kann.
Ich hoffe, daß Sie Gott erfahren haben in dieser langen Zeit durch
- Glück und Freude,
- Gelingen und Vertrauen ebenso wie
- in Verzweiflung, Gleichgültigkeit und Verzagen!
Wir wollen uns nun gemeinsam tragen durch das Glaubensbekenntnis von Geschwistern aus uralten Zeiten, das uns mit Christen über die Konfessionen hinweg verbindet: eg S.1646

L i e d e r

EKG 112 Brunn alles Heils ... eg 140
EKG 111 Gelobet sei der Herr ... eg 139
EKG 254 Ich will dich lieben ... eg 400
EKG 236 Bis hierher hat mich Gott ... eg 329
EKG 160 Kommt her, Ihr seid geladen ... eg 213

Dokumentation (aktualisiert 2009)
1. "... Das dritte Mal war am 29. Mai 1993, .als ich morgens um acht vor dem Haus in Solingen stand, in dem fünf türkische Frauen und Mädchen verbrannt worden waren. Da habe ich gedacht, es lohnt sich alles nicht. Du kannst die Welt nicht ändern. ... Ich habe alle drei Male die Kraft gefunden, weiterzumachen ..." Johannes Rau, damals Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, auf die Frage, ob er in seinem Politikerleben jemals daran gedacht habe, aufzugeben. Zitiert nach
Rüdiger Reitz und Manfred Zabel (Hrsg.) "Johannes Rau. Stationen und Begegnungen", Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus. 1999, S. 198
2. KÖLNER STADT-ANZEIGER 81 - 2009 - 04 - 06
- Rita Neubauer "Wie die Krise Killer formt",
Fachleute nennen die Taten frustrierter Arbeitsloser "Ökonozid" (= Ökonomie + Suizid), oft mit Amok-Vorspiel
- dpa-Meldung: "Vater schlägt Kinder mit Hammer". Berndorf/Korbach
Zwei Mädchen in Lebensgefahr - Sein Motiv: Perspektivlosigkeit
- dpa-Meldung: "Polizei muß Tatablauf korrigieren"
Bei der Verfolgung des Amokläufers von Winnenden gab es eine folgenschwere Panne.
München/Stuttgart
3. KÖLNER STADT-ANZEIGER 83 - 2009-04-08, S.83
- Iris Hilberth "Tod auf dem Gerichtsflur“
60-Jähriger erschießt wegen Erbschaftsstreit Schwägerin und sich selbst
Landshut
KÖLNER STADT-ANZEIGER 83, 2009-04-08: "Kinder wegen versuchten Mordes angeklagt - Die zehn und elf Jahre alten britischen Brüder quälten Gleichaltrige." (dpa)
Neben versuchtem Mord wird den beiden Kindern euch Raub zur Last gelegt. In England sind Kinder schon mit zehn Jahren strafmündig.
London

Materialien

Kaiser, Otto
"Das Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 1 - 12"
- Übersetzung und Kommentar -
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 5.A.1981, S. 120 - 134 in der Reihe "Altes Testament Deutsch - ATD -", Band 17
Voigt, Gottfried. Die geliebte Welt. Homiletische Auslegung der Predigttexte. Neue Reihe III. 2. Aufl. Goettingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1986. S. 271-278.
Westermann, Claus "Ausgewählte Psalmen"
- Übersetzung und Kommentar -
Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht. 1984, S. 53 - 62 ( zu Psalm 13)
Albrecht-Heide, Astrid und Albrecht, Ulrich. [Assoziation zu Tag der heiligen Dreifaltigkeit (Trinitatis): Jes 6, 1-13]. In:
Jens, Walter (Hrsg.). "Assoziationen. Band 3 - Gedanken zu biblischen Texten". Stuttgart. Radius Verlag, 1980, S. 140 – 142
Daewel, Hartwig (Hrsg.) "Ihr seid teuer erkauft". (Predigtgedanken aus Vergangenheit und Gegenwart , Reihe D, Bd. 3). 1. Aufl. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1975. S. 7 - 17


Nachmittagsandacht der Goldkonfirmanden

Monatsspruch vom Juni 1993:
Ich aber traue darauf,
daß du, Herr, so gnädig bist,
mein Herz freut sich,
daß du so gerne hilfst.
Ich will dem Herrn singen,
daß er so wohl an mir tut.
PS. 13,6 (Luther, 1912)
Lied: nach Wahl, sonst: EKG 274 "Jesu geh voran ..." eg 391
Der Monatsspruch ist der letzte Vers eines Psalms, der mit den Worten beginnt:
Wie lange, o Herr, vergißt du mich dauernd?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir ?
Wie lange soll ich Schmerzen in meiner Seele tragen,
Kummer in meiner Seele Tag und Nacht? -
PS. 13,2 f
(Claus Westermann, 1984)
Wie oft mögen wir in unserem Leben so oder ähnlich zu Gott gerufen haben? - Daß uns Gott verlassen hat, zieht sich durch die Zeugnisse der Bibel vom Alten Testament bis zu Jesu Tod. Daß wir Schmerzen und Kummer tragen müssen - ist uns selbstverständlich, daß wir nicht weiter fragen, woher das kommt. Aber all diesem ausgesetzt zu sein - Tag und Nacht ohne Unterbrechung, vor allem aber, ohne Aussicht auf ein Ende, das macht uns zu schaffen. Es geht uns an die Nieren. Viele verzweifeln daran.
Der Schlußvers, unser Monatsspruch, setzt ein Gegengewicht zu dieser Klage:
Ich aber,
auf deine Güte traue ich,
es juble mein Herz
über deine Hilfe! PS. 13,6
(Claus Westermann, 1984)

Über das Vertrauen wächst dem Psalmdichter die Hilfe Gottes zu. Und nun findet er Grund und Anlaß zu Jubel und Gesang:
Ich will dem Herrn singen, denn er hat an mir gehandelt.
PS. 13,6 (Claus Westermann, 1984)

Lieder zur Auswahl
EKG 274 Jesu geh voran ... eg 391
EKG 198 Lobe den Herren, o meine Seele eg 303
EKG 234 Lobe den Herren, den mächtigen eg 317

Dienstag, 30. Juni 2009

Wie können wir den Grund legen?

Morgenandacht beim Predigthelferkurs I der Evangelischen Kirche im Rheinland - EKiR - im Joseph-Hromadka-Haus in Stolberg-Zweifall bei Aachen am 06.04.1984

EKG 542, 1 + 2 Er weckt mich alle Morgen eg 452, 1+2

Wir hören zunächst aus dem Buch Esra im dritten Kapitel die Verse 9 bis 11 :

(9) Und Jeschua mit seinen Söhnen und seinen Brüdern Kadmici, Binnui und Hodawja traten einmütig an, um die Arbeiter im Hause Gottes anzuleiten, dazu die Söhne Hanadads mit ihren Söhnen und ihren Brüdern, die Leviten.
(10) Und als die Bauleute den Grund legten zum Tempel des Herrn, stellten sich die Priester auf in ihren Amtskleidern mit Trompeten und die Leviten, die Söhne Asaf, mit Zimbeln, um den Herrn zu loben nach der Ordnung Davids, des Königs von Israel.
(11) Und sie stimmten den Lobpreis an und dankten dem Herrn:
Denn er ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewiglich über Israel. Und das ganze Volk jauchzte laut bei Lobe des Herrn, weil der Grund zum Hause des Herrn gelegt war.
Esra 3, 9 - 11
Dann hören wir noch ein Wort des Apostels Paulus, das er den Christen in Korinth schrieb:
(9) Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.
(10) Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut.
(11) Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
1. Kor. 3, 9 - 11

Die Berichte im Alten und Neuen Testament beschreiben einen Hausbau.
Bei Esra ist es der Bau des Tempels in Jerusalem, der durch Spenden einzelner Stämme des Volkes Israel auf Befehl Gottes möglich wird. Die Bauleute legen das Fundament. Priester und Leviten stimmen den Lobgesang an - das Volk jubelt.
Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth, daß sich alle Arbeit - auch die Arbeit unter dem Worte Gottes - im letzten Gericht bewährt. Dies ist der letzte Maßstab - und nicht menschliches Tun und Denken. Er selbst, Paulus, habe nach Gottes Gnade den Grund gelegt als weiser Baumeister, ein anderer baue nun darauf. Jeder solle nun darauf achten, wie er darauf baue. Es gebe keinen anderen Grund, kein anderes Fundament als jenes, das in Jesus Christus, in seinem Kreuz und in seiner Auferstehung gegeben ist.
Wir sind hier in Zweifall versammelt - nicht, weil es uns hier besonders gut gefällt, sondern weil wir gerufen wurden, weil wir einen Auftrag erhalten haben. Am ersten Tag haben wir es schon ausgesprochen: Diesen Auftrag können wir nur erfüllen, wenn wir ein tragfähiges Fundament für diese Arbeit gelegt haben.
Weise Baumeister haben sich bemüht, damit wir gemeinsam mit ihnen ein solches Fundament zuwege brachten - heute und morgen sind weitere bei uns.
Doch schon am ersten Tage, bei unserer Arbeit am Alten Testament, wurde uns deutlich, wie gefährlich eine solche Arbeit sein kann. Einige erfaßte leichter Schwindel - und vielleicht ging es nicht nur einigen, wenigen so. Mancher hat sich dabei gefragt, ob diese Baumeister so weise wohl sein mögen, wie wir es um unserer Arbeit willen erhofften. Der eine oder andere fragte sich vielleicht, ob die Gnade Gottes wohl das alles auffangen kann, was uns als möglicher Mangel erschien.
Ja, wie ist das mit der historisch-kritischen Forschung, wie ist das mit unserem Kinderglauben und wie ist das mit unserem Unvermögen, das wir oft besser kennen als unser Können? Wir haben uns selbst, uns gegenseitig und unseren Bauleuten nichts geschenkt.
Anstrengend war es und keineswegs eine Frei-Zeit oder ein "Kursus", wie es offiziell heißt. Wir haben eine Rüstzeit, eine Zu-Rüstung erfahren für unsere Arbeit am großen Bau der Gemeinde Jesu Christi. Uns ist deutlich geworden, daß wir ganz kleine Bauleute sind, die mit begrenzten Mitteln an einer bestimmten Stelle an diesen Bau mitbauen.
Paulus nimmt uns mit seinen Wort die Zweifel, ob wir diese Arbeit auch bewältigen können. Er nimmt die innere Not hinweg, die uns fürchten ließ, die Grundfesten unseres Glaubens gerieten in Gefahr. Es gibt nur einen Grund, ein einziges wirklich tragfähiges Fundament - und das ist Jesus Christus. Paulus selbst hat in der Gnade Gottes dieses Fundament legen helfen.
Was immer wir also tun, wo immer wir mit unserer nicht immer schulgerechten und deshalb wilden Bauerei hingeraten, wir müssen - und wir können das auch - immer von neuem den Grund suchen, auf dem wir stehen. Die Instrumente dazu, Wasserwaage und Lot, haben uns die Baumeister gezeigt. Sie haben uns in der Anwendung an - geleitet. Wir sind jetzt zwar keine gelernten - aber an-gelernte Bauleute. In diese Anlernzeit gehören auch die Abende, an denen wir vom Kirchenkampf hörten. Was wir hörten, ist mahnendes Warnzeichen dafür, wohin es führen kann, wenn Baumeister und Bauleute, ob gelernt, angelernt oder ungelernt, weder Wasserwaage noch Lot benutzen oder beides falsch anwenden.
Wir haben in dieser Zeit aber auch erfahren, daß unsere Bauleute tatsächlich etwas von der Weisheit des Paulus gezeigt haben - jeder auf seine Weise - und daß wir alle gehalten sind in der Gnade Gottes.
Wir sind dankbar für diese Erfahrung und für diese Rüstzeit in Zweifall.
- Wie das Volk Israel bei der Grundsteinlegung des Tempels in Jerusalem so können auch wir Gott danken - dafür, daß er uns gerufen hat und dafür, daß er uns hilft. Amen.

EKG 503, 1+2 Danket dem Herrn! Wir danken dem Herrn ... eg 333, 1 + 2

Herr Jesus Christus,
der du unsere Sünde am Kreuz getragen und uns zu deinem Eigentum erworben hast, verleihe uns, daß wir durch das Opfer deiner Liebe getröstet und zu einem Leben in deinem Dienst geheiligt werden, um deines bitteren Leidens und Sterbens willen. Amen.
EKG S. 1044, Ziff. 3


Materialien

- "Stuttgarter Erklärungsbibel" - Lutherübersetzung mit Einführung und Erklärungen - Stuttgart. 2.A.1992, S. 584, 587 f; S. 1464
- "Neue Jerusalemer Bibel" - Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe Deutsch herausgegeben von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes M. Nützel Freiburg. Herder. 12.A. 1985.2001, S. 563, 566 f;S.1651, 1654
- Wendland, Heinz-Dietrich
"Die Briefe an die Korinther", übersetzt und kommentiert Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 15.A. 1980, S. 1 - 5, 33 f - NTD 7 -
- Voigt, Gottfried
"Homiletische Auslegung der Predigttexte" Neue Folge. Reihe VI: "Die lebendigen Steine" Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht.2.A. 1989, S. 337 - 343
- Gunneweg, Antoniua H. J.
"Geschichte Israels. Von den Anfängen bis Bar Kochba und von Theodor Herzl bis zur Gegenwart" Stuttgart. Berlin. Köln. W. Kohlhammer 6.a. 1989, S.135 - 140
- EKG "Evangelisches Kirchengesangbuch". Ausgabe für die Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe" Dieses Gesangbuch war bis zum Jahre 1996 in Gebrauch.
- eg "Evangelisches Gesangbuch". Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche in Gemeinschaft mit der Evangelisch-reformierten Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland)". 1.A. 1996. 2. A. 1998


Anmerkung

Die Morgenandacht wurde anhand des Bibeltextes und des EKG verfaßt.
Das Gebet war für den Freitagmorgen im EKG angeboten. Ein Gebet in dieser Form findet sich nicht im eg, dafür die Freitagsgebete unter Nummern 932 bis 937. Die Angaben zu den Materialien sollen aktualisierende und weiterführende Hinweise bieten.
Da die Zeit viele Veränderungen gebracht hat, sei noch angefügt: Predigthelfer waren in der EKiR die Laienprediger, die nach zwei Kursen zum Dienst an Gottes Wort und zur Verwaltung der Sakramente ordiniert wurden. Seit 2005 gilt das Predigthelfergesetz nicht mehr, sondern wurde abgelöst durch das Prädikantinnen- und Prädikantengesetz. Vom gleichen Jahr an gilt das Ordinationsgesetz in der EKiR.

Helmut Böhme

Goldhochzeit - Bewährung im Glauben

ANSPRACHE aus Anlaß einer Goldhochzeit am 17.07.1993

Fürchte dich vor keinem, was du leiden wirst!
Siehe der Teufel wird
etliche von euch ins Gefängnis werfen,
auf daß ihr versucht werdet
und werdet Trübsal haben zehn Tage.

Sei getreu bis in den Tod,
so will ich dir die Krone
des Lebens geben.
Offb. 2,10 Luthertext, 1912

Liebes Ehepaar,
fünfzig Jahre sind eine lange Zeit im Leben eines Menschen. Sie umfassen Höhen und Tiefen - Freud und Leid. Noch viel mehr aber gilt diese Erfahrung für gemeinsam verlebte Jahre.
Lassen Sie uns einen Blick in die Vergangenheit werfen - damals, im Jahre 1943, als Sie von Pfarrer A. in L. getraut wurden, war Krieg. Ihr Trauspruch aus dem Buch der Offenbarung des Johannes hatte einen ganz konkreten Bezug auf die Zeit:
Fürchte dich nicht vor dem, was du wirst leiden müssen.
Ihr Lebensweg war von Leiden begleitet.
... ihr werdet Trübsal haben ...
0 ja - Not und Leid haben Sie nicht verschont. Der Krieg hat Sie voneinander getrennt. Als Soldat und als Hilfsschwester im Lazarett begegneten Sie beide dem Leiden der anderen und dem Tod. Und Sie blieben auch selbst nicht verschont - von Krankheit und Verwundung.
Aber der Seher hat das Leiden begrenzt:
... ihr werdet in Bedrängnis (Luther 1984)/ in Trübsal (Luther 1 12) sein zehn Tage ...
So einfach war das bei Ihnen nicht. Aber es stimmt am Ende doch: Nach allem Leid ging es doch immer wieder weiter - und es ging aufwärts.
Im Rückblick auf das Leben Ihrer Eltern und Großeltern stellen Sie dankbar fest, daß Sie vieles von dem, was Sie erarbeitet haben, be-wahren konnten und jetzt im Alter auskosten.
Wie vielen Menschen wird - auch heute noch - im Alter die letzte Zuflucht, die letzte Habe genommen! Wo immer Krieg herrscht, da geschieht das - auch heute noch, so in Jugoslawien bei uns in Europa oder in Afrika, etwa im Somalia.
Und schließlich sagt der Seher im Namen Gottes uns zu:
Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone . des Lebens geben.
Sei getreu bis in den Tod ..., das heißt hier, nicht nachzulassen in der Nachfolge des Gottes, der uns liebt. Das ist nicht leicht in einer Welt des Hasses, des Krieges, in einer Welt, in der es um Tod oder Leben geht. Und doch haben Sie sich auf diese Nachfolge eingelassen - und Sie haben überlebt.
Im Rückblick mögen Sie schon die gnädige Hand unseres Gottes darin sehen, daß er sie füreinander erhalten hat und daß Sie überlebten. Eine weitere Fügung Gottes kann es gewesen sein, daß Sie in den letzten Kriegstagen im gleichen Lazarett sein konnten.
Und alles, was danach folgte - es war bei aller Mühsal zugleich auch eine gnädige Führung unseres Gottes: Daß Sie, Herr NN, trotz der vielen Verwundungen arbeiten konnten, daß Sie hier in Leverkusen Arbeit fanden und daß Sie darüber hinaus in mühevoller Arbeit nach Feierabend ihr eigenes Haus bauen konnten.
Dankbar sind Sie beide auch für Ihre Tochter und die Enkelkinder.
Es fällt Ihnen nicht leicht, die jungen Menschen von heute zu
verstehen. Denen fällt vieles so einfach in den Schoß. Oft wissen die Leute heute nicht, was es heißt, zu arbeiten - und was es bedeutet, sich selbst sein Leben mühevoll unter Entbehrungen zu erarbeiten.
Trotz alledem sind Sie nicht verbittert und schließen sich nicht aus. Dennoch haben 'Sie sich die Kraft bewahrt, dankbar und fröhlich zu sein.
Das ist etwas von dem, was der Seher Johannes den "Kranz des Lebens" mit dem Gott diejenigen belohnt, die ihm die Treue halten.
"Ich möchte es nicht so ernst haben" - so oder so ähnlich sagten Sie, Frau NN, als Sie mir die Lieder angaben, die wir jetzt im Anschluß singen.
Deshalb schließe ich jetzt mit einem Wort des Apostels Paulus, das er den Christen in Thessaloniki schrieb:
Seid allesamt fröhlich, betet ohne Unterlaß, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
1. Thess. 5,16
Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
1. Thess. 5,23
Amen.
Lieder
EKG 347 Lobet den Herren, alle, die ihn ehren ... eg 447
EKG 236 Bis hierher hat mich Gott gebracht ... eg 329
EKG 371 Geh aus, mein Herz und suche Freud ... eg 503

Materialien
Lohse, Eduard
"Die Offenbarung des Johannes" - Übersetzung und Kommentar -
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht. 12.A. 1979, S.26 - 27
erschienen in der Reihe
"Neues Testament Deutsch" - NTD - Band 11
Müller, Ulrich B.
"Die Offenbarung des Johannes" - Kommentar -
Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus.2.A.1995, S. 104 - 109
Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament, Band 19
Jens, Walter in
"Assoziationen. Gedanken zu biblischen Texten", Band 4, S.192 f
Stuttgart, Radius Verlag.1981.

Dokumentation

02.02.1943 Die 6. deutsche Armee unter Generalfeldmarschall Paulus kapituliert und geht in russische Gefangenschaft. Damit haben die Truppen der UdSSR Stalingrad zurückerobert .
24.07. - 03.08. 1943
Große Teile Hamburgs werden durch Fliegerangriffe zerstört. Die Menschenverluste sind erheblich.
19.04. - 16.05.1943
Der Aufstand von 60.000 Juden im Ghetto von Warschau wird durch brutalen "Polizeieinsatz" niedergeschlagen, fast alle Juden getötet. '.
Nach 17 Monaten Belagerung eröffnen sowjetische Truppen Zugang zu Leningrad
17.07.1943 Heirat des Jubelpaares
Ehemann hat drei Tage Heiratsurlaub bekommen, danach im Nordteil der Ostfront eingesetzt, Leningrad
Quellen
"Der große Ploetz. Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte. Daten, Fakten, Zusammenhänge"
Lizenzausgabe von PLOETZ im Verlag Herder in Freiburg/Breisgau erschienen bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, 32.A.2000, S. 782 f
Stein, Werner
"Kulturfahrplan. Die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte von Anbeginn bis 1963"
Frankfurt/Main, Büchergilde Gutenberg.1968, S. 1150 ff Lizenzausgabe des Verlags F.A.Herbig, Berlin und Wünschen. 1946 ff
Persönliche Mitteilung des Jubilars aus dem Vorgespräch am 15.07.1993

Nachbemerkung
Für die Beteiligten war der geschichtliche Hintergrund immer präsent. Sie brauchten und wollten auch keine Hinweise darauf oder Erklärungen dazu. Jetzt, im Internet, sollten für nachwachsendes Generationen die zeitgeschichtlichen Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt werden. Es ist heute kaum nachzuvollziehen, wie bedroht die menschliche Existenz war, wenn nach drei Tagen Heiratsurlaub die Versetzung auf einen gefährlichen Frontabschnitt zu erwarten war und in der Heimat vernichtende Angriffe feindlicher Bombergeschwader die Städte in Schutt und Asche legten.

Montag, 29. Juni 2009

Das Lied der Geretteten

28.04.2002 Sonntag Kantate

Kanzelgruß
Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist, der da war und der da kommt:
Jesus Christus, der uns lieb hat. Amen.
nach Offb. 1,4+5

Der für den Sonntag Kantate vorgeschlagene Predigttext steht in der Offenbarung des Johannes. Der Seher Johannes hat Erscheinungen. Er sieht Bilder, die andere nicht sehen. Er hat Visionen. Hören wir ihm zu:

(2) "Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen
(3) und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
(4) Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Da, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden."
Offb. 15, 2-4

Lieber himmlischer Vater,
hilf uns, diese Bilder als deine Botschaft zu verstehen. Amen.

Der Seher Johannes hört (Audition) und sieht (Vision), was in der Zukunft geschieht. Keiner von uns weiß, wann und wie das sein wird. Der Seher berichtet von Bildern, die offensichtlich verschlüsselte Botschaften enthalten.
Das Lamm (= Christus) kämpft und besiegt (mit der Hilfe des Erzengels Michael) den Drachen (= das Böse, Satan, den Teufel). Dieser "Kampf“ findet im Himmel statt. Das gläserne Meer soll den durchsichtigen Himmelskörper darstellen.
Doch der Drache gibt nicht auf - und große Erschütterungen müssen die Erde treffen, ehe endgültig der Sieg des Lammes errungen und das Ende der Welt, der jüngste Tag, - und der Sieg der Geretteten gekommen ist.

Ein dramatische Gemälde stellt uns der Seher Johannes vor - ein audiovisuelles Drama läuft da ab. Und vor diesem letzten Akt halten die Kämpfer inne. Der Drache ist besiegt - der Himmel ist Sieger geblieben, die Geretteten jubeln und loben Gottes Stärke, Allmacht, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und seine Schöpfung. Das Lied der Sieger kann man es nennen, Meine Bibelausgabe überschreibt es "das Lied der „Überwinder". Ich möchte es das Lied der Geretteten nennen- - wie Mose Gott lobt, nachdem er das Volk der Juden durch das Schilfmeer geleitet hat (2. Mose, 15,11). Hier sind es die geretteten Seelen der Menschen, die nun im Himmel sind.

Paul Gerhardt greift diese Situation auf in seinem Liede

Ist Gott für mich, so trete
gleich alles wider mich,
so oft ich ruf und bete,
weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde
und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde
und Widersacher Rott (eg 351,1).

Aber er ist noch auf dieser unerlösten Erde. Er muß sich mit Krieg, Pest, Hungersnot und Tod auseinandersetzen, den vier apokalyptischen Reitern, die die Erde verwüsten (Offb. 6, 2-9). Aber er sagt uns, was es bedeutet, sich der Liebe Gottes sicher zu sein, seinem Wort vertrauen zu können. Und er schließt mit einem Jubel, den wir uns heute kaum vorstellen können von einem leidgeprüften Mann, der dies Lied im Nachklang des 30jährigen Kriegs (1618 - 1648) schrieb.

Mein Herze geht in Sprüngen
und kann nicht traurig sein,
ist voller Freud und Singen,
sieht lauter Freudenschein!
Die Sonne, die mir lachet,
ist mein Herr Jesus Christ,
das was mich singen machet,
ist, was im Himmel ist.
eg 351, 13

Christen singen, sie jubeln und sie danken für Gottes Liebe und Zuverlässigkeit. Jesus Christus kam auf die Erde, wirkte hier, litt und starb - aber er ist auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel. Das ist das Geheimnis des Widerspruchs, den manche Menschen sehen, wenn sie leidende Christen Gott loben hören.
Wenn wir an die Nachrichten denken - an die Kriegsherde in der Welt, vor allem in Israel und Umgebung, an die Gewalt rund um die Erde – und nicht zuletzt an das schreckliche Geschehen in Erfurt - dann fragen uns andere und wir selbst uns wohl auch, ob wir noch, jubeln und Gott loben können.
Sie wissen davon, daß am Freitag, 26.04.2002, also vorgestern, ein 19-jähriger in einem Erfurter Gymnasium 16 Menschen tötet und anschließend Selbstmord begeht (9 Lehrer, 3 Lehrerinnen = 12 Lehrkräfte; 1 Sekretärin, 2 Schülerinnen). Erschüttert stehen wir vor diesem grauenvollen Geschehen. Wir denken an die Opfer, die Angehörigen. - Noch ist es zu früh, Ursachen zu analysieren.
Aber eines können wir wohl sagen: Der Täter kannte nicht die Sonne, die auch für ihn schien. Er kannte nicht, was im Himmel ist und Paul Gerhardt zum Singen bringt.
Jetzt müssen wir unsere Klage vor Gott bringen! Laut schreien:

HERR, warum stehst du so ferne,
verbirgst dich zur Zeit der Not?
Weil der Gottlose Übermut treibt,
müssen die Elenden leiden;
sie werden gefangen in den Ränken, die er ersann. ...
Steh auf! HERR! Gott, erhebe deine Hand!
Vergiß die Elenden nicht! ...

So ruft der Psalmdichter zu Gott in seiner Verzweiflung (Ps 10). Am Ende findet er sich geborgen in der Gewißheit:

Das Verlangen der Elenden hörst du, HERR;
du machst ihr Herz gewiß,
dein Ohr merkt darauf,
daß du Recht schaffest den Waisen und Armen,
daß der Mensch nicht trotze auf Erden.

Für uns ist das Geschehen ein erneuter Anruf: Bist du mit dem, was dir anvertraut ist, hier auf dieser Erde, liebevoll, achtsam und dankbar umgegangen? Haben die Menschen, mit denen wir zusammenkommen, etwas von dieser Liebe spüren können? - Wer von uns kann sagen: So bin ich immer gewesen. Das habe ich immer getan!
Und mehr noch: Den Opfern und den Angehörigen in Erfurt können wir hier nicht viel helfen - außer, für sie zu beten. Aber wir können uns darum mühen, nicht selbst Gewalt anzuwenden und - vor allem - nicht gewalttätig zu denken und zu reden. So bereiten sich Gewalttaten vor.
Das alles kann nur in unseren menschlichen Grenzen gelingen, wenn wir - altmodisch gesagt "Gott die Ehre geben" - uns dankbar Gott zuwenden und sehen, hören und annehmen, was er in seiner Schöpfung und mit all seiner Liebe gibt. Wir erkennen nicht alles. Vieles wissen wir nicht. Aber wir können uns bemühen, aufmerksam zu sein. Wir können die Sonne, den Regen, schmerzfreie Tage, streitfreie Stunden - dankbar annehmen und mit Paul Gerhardt einstimmen:
Das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.
Dazu möge uns Gott verhelfen! Amen.

Kanzelsegen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem HERRN!
Amen.

Lieder:
eg 302 Du meine Seele singe
eg 243 Lob Gott getrost mit Singen
eg 351 Ist Gott für mich, so trete
eg 640 Die Herrlichkeit des Herrn

Materialien:
- "Stuttgarter Erklärungsbibel" Luthertext 1984 - ohne Apokryphen -
mit Einführungen und Erklärungen. Stuttgart. 2.A. 1992
- "Neue Jerusalemer Bibel "Einheitsübersetzung mit Kommentar der
Jerusalemer Bibel. Freiburg.Herder.12.A.1985
- Müller, Ulrich B.
"Die Offenbarung des Johannes", Gütersloh. Gütersloher Verlagshaus.
12. A. 1995, S. 163 - 170, S. 260 - 264
Ökumenischer Taschenkommentar zum Neuen Testament, Band 16, GTB 510
- Lohse, Eduard
"Die Offenbarung des Johannes" Neues Testament Deutsch - NTD 11 -Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 12. A. 1979, S. 88f
- Voigt, Gottfried
"Die lebendigen Steine" Homiletische Auslegung der Predigttexte, Reihe VI, Göttingen, V&R, 2.A. 1989, S. 228 - 234
- KÖLNER STADT- ANZEIGER 98 - 2002 - 04 - 27/28-
Titelseite, S. 2 und 3
"Entsetzen nach Blutbad in Erfurter Gymnasium"
"Die Frage nach den Ursachen"
"Wir sind nur gerannt, um da herauszukommen"


Aus der Liturgie


Kollektengebet:
Herr,
du hast alles überwunden,
was uns voneinander trennt
zur Gemeinde uns verbunden,
die den Nächsten anerkennt.
Hilf die Liebe zu erwidern,
die du uns erwiesen hast,
in der Welt an unsern Brüdern,
ihrem Elend, ihrer Last.
Detlev Block nach eg 609

Fürbittengebet:

Gott,
so viele leben in unserer Stadt,
die ihren täglichen Kampf
mit dem Tod allein ausmachen.
Für die keine lebendige Hoffnung mehr ist.
So viele - die wir kennen,
aber deren Sorgen wir
nie ernst genommen haben.

Für die alle bitten wir heute:
Gib ihnen Menschen,
die ihnen deine Liebe vorleben
und sie auf den Weg mitnehmen
vom Dunkel ins Licht.

Wir bitten für alle,
die an einem Verlust tragen.
Wir bitten auch für die Angehörigen der Toten
des Anschlags in Erfurt,
für alle, die im Tod oder Leben
einen Geliebten verloren.
Zeig ihnen, daß nichts das letzte Wort hat,
wenn nicht du;
du schenkst Leben ohne Ende.

Wir bitten dich für alle,
die keinen Sinn mehr sehen,
die süchtig sind nach Alkohol, Erfolg, Liebe,
die bei der verzweifelten Anstrengung zu überleben
sich zu Außenseitern machen oder dazu gemacht werden.

Laß sie Gesprächspartner finden,
zur Ruhe kommen in dir.

Wir bitten für alle nah und fern,
die unter anderen Menschen leiden müssen.
Wir bitten
für die Opfer des Anschlags in Erfurt,
- die Kinder, die ansehen mußten, wie Mitschülerinnen, Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer getötet wurden,
- die Lehrerinnen und Lehrer, die nicht helfen konnten,
- die Polizistinnen und Polizisten, die Helferinnen und Helfer, die das Grauen dieses Einsatzes lange Zeit nicht vergessen können.

Wir bitten für die,
die dich in Krieg und Hunger vergessen,
und für die, die in allem Elend dir noch vertrauen.
Laß sie alle in uns ihre Geschwister finden, die Vertrauen schenken und stärken.
Gott,
du bist ein Gott des Lebens, nicht des Todes.
Mache uns mutig und bereit,
für dies Leben zu kämpfen,
wo der Tod regiert.
Das bitten wir im Namen Jesu.
nach eg 928, S.1428

Wer ist Jesus?

6. Manforter Predigtreihe 2002 in der Evangelischen Johanneskirche Leverkusen-Manfort, Scharnhorststraße 40
- vom 02. bis 23. Juni 2002 -

16.06.2002 3. Sonntag nach Trinitatis

eg 552, 1-3 + 6 Licht, das in die Welt gekommen
eg 752.3, S. U 82 Psalm 119

Kollektengebet
Lieber himmlischer Vater, wir sind dankbar dafür, dass wir immer wieder aufs Neue vom Wirken und von der Frohen Botschaft deines Sohnes Jesus Christus berichten können.

Am dritten Sonntag der Predigtreihe, in der wir nach dem Auftrag deines Sohnes in der Welt fragen, bitten wir dich:
Sei du bei uns und stärke uns
durch deinen Heiligen Geist,
der du mit dem Sohn lebst
und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen

Epistel zum 3. Sonntag nach Trinitatis:
l. Tim. 1,12-17

eg 268, 1-5 Strahlen brechen viele aus einem Licht
eg 385, 1-3 Mir nach spricht Christus unser Held
eg 938, S. 1433 Fürbittengebet
eg 136,1 O komm, du Geist der Wahrheit

Predigt

Wer ist Jesus?
Vier Mal hintereinander steht diese Frage als Thema der Gottesdienste im Juni auf dem Plan.
Gilt diese Frage uns - gilt sie anderen?

Herr Theis (9.10.1945 bis 10.2.2002) schlug als Thema für die Predigtreihe in diesem Jahr die „Ich-bin-Worte Jesu im Johannesevangelium" vor und war freudig überrascht zu erleben, dass wir anderen sofort zustimmten.

Ich nenne sie:
02.06. - Ich bin das Brot des Lebens.
Peter Richmann Joh. 6,35

09.06. - Ich bin die Tür. Ich bin der gute Hirte.
Jürgen Berghaus Joh. 10,11, 14+1

16.06. - Ich bin das Licht der Welt.
Helmut Böhme Joh. 8,12
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben
Joh. 14,6

23.06. - Ich bin die Auferstehung und das Leben
Jürgen Berghaus Joh. 11,25

Wir nehmen also Jesus als Zeugen für seine Identität. Die Kritiker fragen: „Du zeugst in eigener Sache. Wer kann dir da glauben?" Die anderen Evangelisten bezeugen Gottes Wort bei der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer: „Dies ist mein lieber Sohn ..." (Mk. 1,15; Mt. 3,17; Lk. 3,22). Für den Evangelisten Johannes ist die Einheit von Vater und Sohn so selbstverständlich, dass der Sohn auch seine eigene Identität bezeugen kann: „Wer mich sieht, der sieht den Vater," sagt Jesus (Joh. 14,9).

Hören wir jetzt noch einmal die Worte Jesu für den heutigen Sonntag:
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandern in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh. 8,12
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater,
denn durch mich. Joh. 14,6

Zunächst: Es geht um Bilder. Wir fragen: Was bedeuten sie?
- Ich bin das Licht der Welt.
Jesus bündelt nicht alles Licht der Welt in sich. Er verkörperte nicht das Licht seiner Zeit - und auch nicht das der Gegenwart mit ihren vielen künstlichen Lichtquellen in der Reklame und anderswo.
Er bringt das Licht der Liebe Gottes in diese Welt hinein - das Licht für diese Welt. In Jesu Leben, Wirken, Leiden und Sterben - ja, auch in Jesu Auferstehung - können wir Gottes Liebe in dieser Welt sehen und spüren. „Licht für diese Welt", das heißt zugleich „Gott wird Mensch in dieser Welt, für diese Welt". Mit dem Lied vor der Predigt haben wir die Wirkung beschrieben, die dieses Licht in der Welt hat. Es überwindet die Nacht - auch in unserem Herzen - und den starren Frost - in unseren Seelen -. Dann brechen Strahlen aus diesem Licht, das Christus ist. Zweige wachsen aus diesem Stamm und vielfältige Gaben werden wirksam, weil wir uns von Gott angenommen und geliebt wissen. Aus den Gaben, die wir haben, entstehen Dienste, für die wir fähig werden - und die ihre Lebenskraft aus dem Geist der Liebe gewinnen. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Dienste auch im Geist der Liebe annehmen. Das gilt für ehrenamtliche Dienste ebenso wie für haupt- und nebenberuflich organisierte Dienste - und für die Vertretungen mancherlei Art: Organisten, Pfarrer, Jugendmitarbeiter und andere mehr.

Jesus fährt dann fort:
Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Zur Zeit Jesu glaubten viele Menschen, dass die Welt beherrscht würde vom Kampf der Mächte der Finsternis und der Mächte des Lichts. Im Mittelalter vor allem war ganz eindeutig: Der Herrscher im Reich der Finsternis ist der Satan, der Teufel und der Herrscher im Reich des Lichts ist Jesus Christus.
Mich hat erschreckt, dass bis in dieses 21. Jahrhundert hinein dies Muster von Gut und Böse die Auseinandersetzung zwischen den Menschen und zwischen den Staaten beherrscht. Der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika spricht nur aus, was viele Menschen auch heute noch denken: Wir stehen auf der Seite des Lichts und kämpfen gegen die Mächte der Finsternis. Und so kommt es dazu, dass Weltpolitik betrieben wird, um die „Achse des Bösen" zu bekämpfen. Präsident George W. Bush erklärte in seiner diesjährigen „Rede zur Lager der Nation" der „Achse des Bösen" den Krieg und nannte den Irak, den Iran und Nordkorea als Staaten, die diese Achse bilden.
Ich bin im Laufe meines Lebens vorsichtig geworden. Es ist ganz natürlich, dass ein Politiker die Gemütslage seiner Wähler und der Bürger des von ihm vertretenen Staates erkennen muß. Es kommt darauf an, wie er mit dieser Erkenntnis umgeht. Schwierig wird es, wenn er das Schwarz-weiß-Denken, das Denken in Kontrasten auf die Weltpolitik überträgt und damit Politik betreiben will.
Ich habe nur ein Beispiel genannt, das Ihnen wohl allen bekannt ist. Es steht für andere vergleichbare Einstellungen. Für mich ist es wichtig, dass Gut und Böse in uns allen angelegt ist. Christus hat die Liebe Gottes in dieser Welt sichtbar gemacht und zum Strahlen gebracht. Wir, wir Menschen, sind es, die uns immer wieder von ihm entfernen, denn wir sind unvollkommen. Wer sich der Liebe Gottes öffnet, wie es das Lied beschreibt, der wird am Ende das „Licht des Lebens" haben, wie Jesus sagt. Am Ende siegt die Liebe - in diesem Leben - und in dem, das danach kommt, davon hören wir am kommenden Sonntag mehr.

— Schließlich das letzte Wort Jesu für den heutigen Sonntag.
Ich bin der Weg,
die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater denn durch mich. Joh. 14,6

Jesus hat eben seinen Jünger Petrus angekündigt, dass dieser ihn drei Mal verleugnen wird, obwohl dieser streitbare Jünger sein Leben für Jesus opfern will.
Da beruhigt Jesus die Jünger und erklärt ihnen, er gehe ihnen voraus in seines Vaters Haus mit vielen Wohnungen, um ihre Aufnahme dort vorzubereiten.
Die Jünger sind unruhig. Thomas fragt nach dem Weg den Jesus ihnen vorausgehen will. Jesus antwortet ihm: „Ich bin der Weg ...." - Vorhin hieß es „Wer mir nachfolgt ...". Mir scheint, beides meint annähernd das gleiche: Wer sich der Liebe Gottes öffnet, der findet einen Weg, der zu Gott führt.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben ..." Jesus bezeugt hier, dass er der Weg ist, der durch diese Welt - hinaus führt zum Vater, der uns in Liebe aufnimmt.
Im jüdischen Sinne ist „wahr" ein Mensch, der hält, was er verspricht. Wir kennen ein Weihnachtslied, in dessen dritter Strophe es heißt:
... Wahr Mensch und wahrer Gott,
hilft uns aus allen Leide,
rettet von Sund und Tod,
eg 30,3 Es ist ein Ros entsprungen ....
Ein „wahrer" Mensch ist „treu" und „verläßlich". Im Johannesevangelium kann Wahrheit auch bedeuten: „Freiheit", „Licht" und „Leben". Ich bin die Wahrheit, könnte dann bedeuten: Ich halte, was ich verspreche; ich bin treu; ich mache euch frei.

„Ich bin .... das Leben" Ein Fremder wird uns zugestehen, dass Jesus lebt, dass er gelebt hat „Er ist das Leben", das versteht er nicht. Für uns Christen dagegen ist eines ganz deutlich. Jesus Christus verkörpert „das Leben in Gottes Liebe hier auf dieser Welt." Wir ahnen vielleicht, dass damit zugleich das „ewige Leben" gemeint sein kann. Doch davon am nächsten Sonntag.
Wir fragen am Ende: „Wer ist Jesus?"
- Er verkörpert die Liebe Gottes in dieser Welt - bis hin zur Selbstaufopferung.
- Als Licht stellt er sich gegen Hoffnungslosigkeit, Zerstörung, Gewalt und auch gegen die schwarze Nacht in unserer Seele und die Finsternis in dieser Welt.
- Als Weg bringt er uns in Bewegung auf ein Ziel hin - jenseits dieser Welt. Das macht uns das Leben leicht - hier ist nicht alles am Ende - aber auch schwer - was kommt danach?
Im folgenden Lied singen und hören wir etwas zu diesem Weg. Es ist weit über 300 Jahre alt (Johann Scheffler, 1668) und gibt die Weltsicht der frommen Christen nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder. Die Sprache ist manchem von uns fremd und ungewohnt.
Das Lied vor der Predigt aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt aus Schweden (Anders Frostenson - 1972 - 1974). Diese Sprache ist uns vertrauter.
Dennoch gibt auch das folgende Lied die Botschaft Christi wieder - in einer anderen Zeit und an andere Christen. Lassen wir uns einladen auf seinen Weg!
Amen

Materialien
- "Stuttgarter Erklärungsbibel - Lutherübersetzung mit Einführung
und Erklärungen -"
Stuttgart. Deutsche Bibelgesellschaft.2.A. 1992, S. 1344; 1357 seit 2007 mit Apokryphen. 3.A.
- "Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der
Jerusalemer Bibel "
Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe. Deutsch herausgegeben von Alfons Deissler und Anton Vogtle in Verbindung mit Johannes Fl. Nützel Freiburg. Herder. 12.A. 1985. 2001. S. 1526 f, 1538
- Schulz, Siegfried
"Das Evangelium nach Johannes", übersetzt und erklärt
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 14.A. 1978, S. 124 - 131; 184 - 187
Neues Testament Deutsch - NTD - Band 4
- "Assoziationen. Gedanken zu biblischen Texten", herausgegeben von
Walter Jens
Stuttgart. Radius Verlag. Band 3.1980
Fritz Sänger, S. 30 f; Heinrich Albertz, S. 39f
- Voigt, Gottfried
o "Der rechte Weinstock" Homiletische Auslegung der Predigttexte
Reihe III
Berlin. Evangelische Verlangsanstalt. 2.A. 1974, S. 42 - 47 o "Die geliebte Welt" Homiletische Auslegung der Predigttexte .
Neue Folge: Reihe III
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 2.A. 1986, S. 51 - 57; 70 - 76

Sonntag, 28. Juni 2009

Geist der Liebe - mit Christus leben

27.05.2001 Predigt zum Sonntag EXAUDI
- Gottesdienst mit Paul Gerhardt an seinem 325. Todestage -

Kanzelsegen
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen (nach Röm 15,24)

Der für den heutigen Sonntag Exaudi (= dt. Erhöre!) vorgeschlagene Predigttext steht im Evangelium nach Johannes im 14. Kapitel, in den Versen 15 bis 19:

15) Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.
16) Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit:
17) Den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
18) Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
19) Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. (Joh. 14, 15-19)

Lieber himmlischer Vater, hilf unser Leben unter dein Wort zu stellen und gib uns die Kraft, danach zu leben. Amen.

"Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten ..."
Da steht das Wort an erster Stelle, das für Jesus das wichtigste Gebot im Gesetz ist: Wir sollen Gott lieben und unseren Nächsten wie uns selbst Für mich ist dieses Wort eine Art Maßstab, mit dem ich feststellen kann, was christlich und was unchristlich ist. Es steht auch viel Unchristliche in der Bibel. Jedenfalls umfaßt diese Liebe mehr als sinnliche Zuneigung und Leidenschaft.

"...Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit ..."
Mit diesen Worten verspricht Jesus, daß er für seine Jünger bei seinem Vater bitten wird. Er bittet um den Heiligen Geist. Damit ist gesagt, daß die Menschen, die sich zu Jesus bekennen, damit rechnen können, daß Gott sie nicht verläßt. Sein Heiliger Geist verläßt sie in, Ewigkeit nicht. - Das heißt nun nicht, daß Christen stets vom Heiligen Geist erfaßt und durchdrungen sind. Sie bleiben Menschen nach wie vor - mit ihren Stärken und mit ihren Schwächen. Sie kennen aber ein Ziel. Sie wissen,
worauf es ankommt.

„ ...ich lebe und ihr sollt auch leben."
Diese Worte sagt Jesus, nachdem er angekündigt hat, er werde die Jünger verlassen. Daß Jesus sterben, auferstehen und zum Himmel auffahren wird, das wußten die Jünger nicht. Jesus aber sagt ihnen, daß er alles überleben, ja mit neuem Leben erfüllen wird und daß deshalb auch sie leben werden. - Ahnen wir etwas von diesem Leben, in dem die Liebe regiert, die alles umfängt?

An dieser Stelle möchte ich an Paul Gerhardt erinnern, den Namensgeber der Kirche in Rheindorf-Nord.
Am 12.März 1607 in Sachsen geboren, studierte er in Wittenberg Theologie, war einige Zeit Hauslehrer und erhielt mit 44 Jahren seine erste feste Anstellung als Pfarrer in Mittenwalde (Probst). Nach sechs Jahren wurde er an die Nicolaikirche in Berlin berufen. Wegen einer Auseinandersetzung mit seinem Landesherrn, dem Kurfürsten von Brandenburg, verlor er diese Stelle. Er war drei Jahre arbeitslos. Schließlich kam er nach Lübben im Spreewald. Dort starb er am 27. Mai 1676. Das war vor 325 Jahren - auf den Tag genau. Paul Gerhardt hatte ein schweres Leben. Als er fünfzig Jahre alt war, verlor er beide Eltern. Er wurde 69 Jahre alt - dreißig Jahre darunter war Krieg (1618 - 1648). Seine Frau gebar ihm fünf Kinder, von denen aber nur eines ihn überlebte. - Ein trauriges Leben? -
Wir singen heute nur Lieder von Paul Gerhardt. Sie sind lebendige Zeugnisse dafür, was es heißt, mit Christus zu leben.
Zwei davon möchte ich nun genauer ansehen - das Lied vor und das Lied nach der Predigt.

Zieh ein zu deinen Toren,
sei meines Herzens Gast,
der du, da ich geboren,
mich neu geboren hast,
o hochgeliebter Geist
des Vaters und des Sohnes,
mit beiden gleichen Thrones,
mit beiden gleich gepreist.

Mit diesen Worten, begrüßt er den Heiligen Geist, der in ihn einziehen so1l — wie Jesus es in unserer Textstelle es zugesagt hatte.

Zieh ein, laß mich empfinden
und schmecken deine Kraft,
die Kraft, die uns von Sünden
Hilf und Errettung schafft.

Hier ist alles Erfahrung - das heißt, mit dem Herzen verarbeitetes Erlebnis. Und so geht es weiter:

Du bist der Geist, der lehret,
wie man recht beten soll;
dein Beten wird erhöret
dein Singen klinget wohl ...

Du bist der Geist der Freuden,
von Trauern hältst du nichts,
erleuchtest uns im Leiden
mit deines Trostes Licht.

Du bist ein Geist der Liebe,
ein Freund der Freundlichkeit,
willst nicht, daß uns betrübe
Zorn, Zank, Haß, Neid und Streit.

Der Heilige Geist lehrt beten, er hält nichts vom Trauern - ja er ist ein Geist der Freude, der tröstet. Schließlich ist er ein Geist der Liebe. - Paul Gerhardt kannte seinen Gott. -
Er hat nur die Texte der Lieder, Gedichte, geschrieben. Seine Freunde in Berlin, die Kantoren Johann Crüger und Johann Georg Ebeling haben sie vertont. Johann Crüger vertonte dieses Lied im Jahre 1653. -

Das zweite Lied wurde sechs Jahre nach Gerhardts Tod von dem Stadtmusiker Jakob Hintze in Berlin vertont. Im Gesangbuch steht "Gib dich zufrieden ..." in der Abteilung "Glaube, Liebe, Hoffnung" und ist dem Abschnitt "Angst und Vertrauen" zugeordnet. Viele von uns kennen es als Lied, das auf Beerdigungen gesungen wird. Hören wir hinein:

Gib dich zufrieden und sei stille
in dem Gotte deines Lebens!
In ihm ruht aller Freuden Fülle,
ohn ihn mühst du dich vergebens,
er ist dein Quell und deine Sonne,
scheint täglich hell zu deiner Wonne.
Gib dich zufrieden.

Viele verstehen dieses "Gib dich zufrieden und sei stille ..." als eine Aufforderung zur Resignation: Sei zufrieden mit dem, was du hast. Streng dich nicht mehr an. Aber das ist nicht Paul Gerhardts Aussage. Er ist durchaus ein Kämpfer! Resignation liegt ihm nicht – auch nicht das Kuschen vor dem Schicksal, das ihn schlägt. Er meint etwas anderes - und das macht mir das Lied so lieb und wertvoll .
"Gib dich zufrieden" - das heißt, ergib dich nicht der Hektik dieser Welt; sage nicht immer "nein" zum Leben und zu allem, was es dir bringt! - Und Gerhardt sagt, warum er in diesem Sinne "zufrieden" sein kann. Sein Gott ist die Fülle der Freude, von ihm kommt Kraft und Licht. Warum willst du dann unzufrieden sein und mit deinem Schicksal hadern?

Er ist voll Lichtes, Trost und Gnaden,
ungefärbten, treuen Herzens,
wo er steht, tut dir keinen Schaden
auch die Pein des größten Schmerzens,
Kreuz, Angst und Not
kann er bald wenden ---

Wie dir's und andern oft ergehe,
ist ihm wahrlich nicht verborgen,
er sieht und kennet aus der Höhe
der betrübten Herzen Sorgen.
Er zählt den Lauf der heißen Tränen
und faßt zuhauf all unser Sehnen.
Gib dich zufrieden!

Er hört die Seufzer deiner Seelen
und des Herzens stilles Klagen,
und was du keinem darfst erzählen,
magst du Gott gar kühnlich sagen.
Er ist nicht fern, steht in der Mitten,
hört bald und gern der Armen Bitten.
Gib dich zufrieden.

Ja, das ist ein Trösten aus dem Herzen heraus und aus Glaubenserfahrung, die Kraft gibt! Licht und Trost und Gnade - das ist Gottes Fülle - und unser Schutz vor Kreuz, Angst und Not, die uns in Verzweiflung stürzen wollen. Wir sind vor all dem nicht sicher. Aber wir wissen, daß Gott bei uns ist. Da hat es die Verzweiflung schwer.
Und schließlich kennt Gott uns. Ihm dürfen wir alles sagen. Nicht, daß wir ihm damit Neues sagen könnten. Aber wir selbst erleben das Gesagte neu und anders. Indem wir es Gott sagen, erhält es eine andere Dimension.

Biographische Züge hat das Lied "Ich bin ein Gast auf Erden . . .", das wir unter Nummer 529 im Gesangbuch finden. Paul Gerhardt beschreibt darin einige seiner Lebenserfahrungen. Lassen Sie mich nun mit Worten von Paul Gerhardt enden:

Ich weiß, mein Gott,
dass all mein Tun und Werk
in deinem Willen ruhn,
von dir kommt Glück und Segen,
was du regierst, das geht und steht
auf rechten, guten Wegen.
Amen

Kanzelsegen
Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.


MATERIALIEN

Lieder
"Wach auf, mein Herz. ..." eg 446
"Zieh ein zu deinen Toren ..." eg 133
"Gib dich zufrieden und sei stille ..." eg 371
"Lobet den Herren alle, die ihn ehren ..." eg 447
"Sprich ja zu meinen Taten ..." eg 446
"Geh aus mein Herz und suche Freud ..." eg 503 (Zusatzangebot)
Psalm 27, eg 713.2

Lesung: Epheser 3, 14 - 21
Fürbittengebet: "Gott, so viele leben in unserer Stadt ..." eg 928, S. 1428

Kommentare
- "Stuttgarter Erklärungsbibel" nach Martin Luther
Stuttgart. Deutsche Bibelgesellschaft. 2.A. 1992, S. 1358
- "Neue Jerusalemer Bibel. "Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der
Jerusalemer Bibel
Freiburg. Herder.12.A. 2001, S. 1538
- Schulz, Siegfried
"Das Evangelium nach Johannes" übersetzt und erkläret
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 14 .A . 1978, S. 187 - 192 , NTD Bd. 4
- Voigt, Gottfried
"Homiletische Auslegung der Predigttexte" Reihe V: "Die bessere Gerechtigkeit"
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 2.A.1988, S. 248 - 255
- Scharf, Kurt in "Assoziationen. Gedanken zu biblischen Texten"
Band 5, 1982, S. 112 f Stuttgart. Radius Verlag.

Zeitungsartikel

- DER WEG - Zeitung im Gebiet der Rheinischen Landeskirche -
Nr. 22 vom 27.05.2001

Bunners, Christian: "Lieder für die Menschen wahr und schön"
325. Todestag. Einige Strophen von Paul Gerhardt gehören zu den bekanntesten Texten deutscher Sprache überhaupt.

Nachtrag 2009

- Bunners, Christian
"Paul Gerhardt : - Weg - Werk Wirkung" Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht 4. A. 2007, 319 S.
- Gerhardt, Paul
"Sämtliche deutsche Gedichte" mit Illustrationen von Egbert Herfurth und Melodien von 10 Liedern im Anhang
herausgegeben von Reinhard Mawick, mit einer Einführung von Inge Mager Leipzig. Faber & Faber. 2.A.2007, 274 S.
- Becker, Hansjakob und 7 andere (Hrsg.)
"Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder" München. C.H. Beck. 2001, 3. 249 - 290; 299 - 309

Hinweis
Der Gottesdienst am 27.05.2001 wurde in Rheindorf-Süd gehalten, in der Lukaskirehe3 Wittenbergstr. 5. Die Paul-Gerhardt-Kirche liegt im Pfarrbezirk Rheindorf-Nord, Elbestr. 6. Seit dem Jahre 2003 plante die Evangelische Gemeinde Leverkusen-Rheindorf den Neubau eines Gotteshauses. Die beiden Kirchen in Rheindorf-Süd und in -Nord sind aufgegeben. Jetzt hat die Gemeinde eine Kirche, die Hoffnungkirche. Im Jahre 1986 lebten im Stadtteil Rheindorf 15.867 Einwohner, darunter waren 5.308 evangelisch. Achtzehn Jahre später, im Jahre 2004, lebten 16.377 Einwohner im Stadtteil, darunter 3.823 evangelische. Der Anteil der Evangelischen im Stadtteil Rheindorf ist in dieser Zeit von 33 auf 23 v.H. gesunken.
Dann noch ein persönlicher Hinweis: Im Jahre 1965 wurden meine Frau und ich in der Lukaskirche getraut - in Rheindorf-Nord gab es noch keine Kirche. In der Paul-Gerhardt-Kirche wie in der Lukaskirche habe ich später als Lektor und Predigthelfer Gottesdienste gehalten. - Auf diese Weise verbindet sich persönliche Biographie mit dem Schicksal der Kirche vor Ort.

Helmut Böhme

Sonntag, 5. April 2009

Wirken des lebendigen Wortes

Gottesdienst am 23.2.1992 in Rheindorf und am 26.4.1992, Sonntag Quasimodogeniti, in Leverkusen-Manfort

Kanzelgruß

Wir finden den Predigttext im 4. Kapitel des Hebräerbriefes. Dort heißt es in den Versen 12 und 13:
(12) ... das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebr 4, 12+11

Herr,
hilf uns, das Leben durch dein Wort und in deinem Wort zu erfahren. Uns erschreckt der Gedanke, daß es uns trennen und zerteilen könnte wie ein Schwert. Wir können nicht glauben, daß du Wunden schlägst und hoffen auf die h eilen de Kraft deines Wortes. Amen.

Heute möchte ich mit einer Geschichte beginnen. Sie hat sich vor gut 100 Jahren in Rußlands feiner Gesellschaft zugetragen. Ein junger Mann verliebt sich unsterblich in eine reiche Witwe, die ihrerseits mit einem anderen verlobt ist. Sie weist seine Bewerbungen ab. Da bricht er des nachts in ihr Haus eins - und während er vor ihrem Bett steht und auf die Schlafende hinuntersieht überkommt ihn eine gewaltige Wut, und er stößt ihr einen Dolch ins Herz. Es gelingt ihm, unerkannt zu fliehen. Man verdächtigt ihren Diener, setzt ihn gefangen - und noch ehe man ihn verurteilen kann, erfaßt ihn ein Nervenfieber, innerhalb einer Woche ist er tot.
Den Mörder erfaßt bald die Reue - nicht, daß ein anderer unschuldig an seiner Stelle in Verdacht geriet und starb - auch nicht, daß er ein Menschenleben ausgelöscht hat - , nein er bereut bitterlich, daß die von ihm geliebte Frau nicht mehr lebt. In seinem Wahn glaubt er, er habe nicht anders handeln können, denn sonst hätte sie ja den anderen geheiratet. -
Schließlich stürzt er sich in die Arbeit. Er hat Erfolg. Er beginnt, das Ausmaß seines Verbrechens zu erkennen. Grauen vor sich selbst erfaßt ihn. Er versucht mit vielen Wohltaten anderen gegenüber sein Gewissen zu beruhigen. Da begegnet ihm ein junges Mädchen, das ihn zu lieben beginnt. Sie heiraten und sie bekommen Kinder. Hatte er anfangs noch gehofft, die Liebe, die unschuldige, reine Liebe der Frau könne sein Grauen verdrängen, so erkennt er bald, daß alles nur noch schlimmer wird. Denn er in die klaren und liebevollen Augen seiner Frau blickt, fragt er sich verzweifelt, was sie wohl tun werden, wenn sie erfahren, was er getan hat. So lebt er, ein würdiges Mitglied der russischen Gesellschaft, angesehen, wohlhabend - wohl etwas schwermütig, wie man meint, vierzehn Jahre. In dieser Zeit quälen ihn Träume, verfolgen ihn Gedanken an seine Tat und ihre Folgen.
Da begegnet ihm ein junger Mann, der etwas ganz Ungewöhnliches getan hat. In einem Ehrenhandel zu einem Zweikampf mit Pistolen herausgefordert, hat er dem ersten Schuß standgehalten, dann hat er seine geladene Pistole in den Wald geworfen und sich bei seinem Gegner entschuldigt.
Diesen Mann sucht er nun auf. In langen qualvollen Gesprächen mit ihm sucht er nach einem Ausweg für sein Leben. Im Verlauf eines dieser Gespräche schlägt der junge Mann die Bibel auf und bittet ihn, eine bestimmte Stelle zu lesen. Dort heißt es dann:
Schrecklich ist es,
in die Hand des lebendigen Gottes zu fallen. Hebr. 10,31

Er liest und wirft das Buch fort. Er bebt am ganzen Körper.
"Ein furchtbarer Vers ist es," sagt er, "dazu ist nichts mehr zu sagen, Sie haben das Richtige gefunden." Er verabschiedet sich von seinem Gastgeber: "... Im Paradies sehen wir uns wieder. Das heißt, seit vierzehn Jahren bin ich in die Hände des lebendigen Gottes gefallen - ja, so kann ich von diesen vierzehn Jahren sagen. Morgen will ich diese Hände bitten, daß sie mich lassen."

Wie jedes Jahr, so versammelt sich auch in diesem Jahr die Gesellschaft der Stadt an seinem Geburtstage, um ihm zu gratulieren und mit ihm zu feiern. Dieses Mal ist es der Tag nach dem entscheidenden Gespräch.
Er tritt unter die Versammelten und eröffnet ihnen mit allem Ernst seine Bluttat. Er legt Beweise vor und bittet um eine gerechte Strafe. Niemand aber glaubt ihm. Man halt ihn für krank, für geistig verwirrt. Seinen Gesprächspartner, den jungen Rann, hält man für den Schuldigen. Kurz vor dem Tode des Mörders, der inzwischen tatsächlich krank darniederliegt, können die beiden noch ein letztes Mal miteinander reden. Der Mörder dankt dem jungen Mann für seine Hilfe und sieht darin, daß niemand in der Stadt und auch seine Familie nicht sein Geständnis angenommen hat, eine große Gnade Gottes, der seiner Familie vor allem das Andenken an einen liebevollen, gerechten und wohltätigen Ehemann und Vater erhalten habe. -
Ob es diesen Mörder wirklich gab, weiß ich nicht. Ob sich die Geschichte genauso zugetragen hat, wie ich sie erzählt habe, kann ich auch nicht sagen. Nach allem aber, was wir von den Menschen wissen und an Zeugnissen über diese Zeit kennen, hätte sich diese Geschichte so zutragen können. Der große russische Dichter Fjodor Michailowitsch Dostojewski erzählt sie in seinem Roman "Die Brüder Karamasow" im Jahre 1880 (Zürich, Manesse Bibliothek. 2. A. 1987, S.467-485).

Weshalb habe ich diese Geschichte so ausführlich erzählt? Natürlich auch deshalb, weil es ein Satz aus dem Hebräerbrief ist, der die Wende auslöst. Im Grunde aber deshalb, weil wir am Schicksal dieses Mörders das Wirken des lebendigen Wortes unseres Gottes erspüren können.
Manche sagen, das Gewissen sei dieses Wort Gottes in uns, das uns immer wieder auf den rechten Weg führe - und deshalb müßten wir immer darauf achten. Mit seinem Schuldbekenntnis hat der Mörder sein Gewissen befreit und ist dann dankbar gestorben. Mir scheint, daß auch Dostojewksi diese Geschichte so verstanden hat. Heute, so meine ich, sollten wir mehr in der Geschichte erkennen.
"das Wort Gottes ist lebendig" - das heißt, es ist kein Gerede, das da um Gottes Wort gemacht wird. Natürlich wird das Reden über Gott und von Gott immer wieder auch zu menschlich belanglosem Geplapper - wir sind eben unvollkommen in allem, was wir tun. Aber das Zeugnis vom Handeln Gottes an uns und in der Welt - das ist Leben - und kein Gerede.
Ich weiß nicht, in welcher Weise Sie hier in Rheindorf das "Jahr mit der Bibel“ begehen wollen. Für mich ist es sehr wichtig, daß die in der Bibel überlieferten Glaubenszeugnisse der Menschen über die Jahrtausende hin Lebenszeugnisse sind, Zeugnisse und Belege dafür, daß und wie Gott in dieser Welt und an den Menschen, ja auch durch die Menschen gehandelt hat. Und er tut das immer wieder von neuem - durch sein Wort.
Erinnern wir uns an Jesu Antwort auf die Frage, was das höchste Gebot sei? Er sagt, wir sollten Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte - aber zugleich unseren Nächsten wie uns selbst (Mt. 22,37-39). Nehmen wir dieses Wort als das Zentrum unseres Glaubens und die Mitte von der aus Gott in uns wirkt, dann werden wir die Abgründe dieser Welt - auch dann, wenn wir ihnen in uns selbst begegnen -, mit mehr Kraft überblicken können und jener ausweglosen Verzweiflung des Mörders in Dostojewskis Geschichte nicht anheimfallen.
Das menschliche Gewissen ist die trennende Schärfe, die -in Gottes Wort angelegt ist. - die Liebe zu Gott und zu den Menschen aber ist das Leben in uns und in der Welt. Ja, und dann verstehen wir, daß dieses Wort Seele und Geist ebenso wie Mark und Bein - das Innerste wie das Äußerste - zu trennen vermag. Gott sieht auf den Kern, auf das Zentrum, die letzte Wahrheit - er braucht keine Rücksicht zu nehmen auf die Gesellschaft, auf wirtschaftliche, politische oder sonstige Zusammenhänge.
In der vergangenen Woche (26.03.1992) erreichte uns die Nachricht, daß ein Bundestagsabgeordneter (Gerhard Riege) sich das Leben genommen habe, weil er sicher war, nicht mehr die Kraft zu haben, die er gebraucht hätte, um in den Auseinandersetzungen der kommenden Monate zu bestehen - im Bundestag, in den politischen Gremien, aber auch in den Medien und in der Bevölkerung. - Es ist oft sehr wenig zu spüren von der Liebe, durch die Gottes Wort wirkt. -
In einer ganz anderen Zeit, vor knapp fünfzig Jahren schrieb ein Mann
die letzten Sätze in sein Tagebuch:
Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt.
In dessen Anblick endet unser Leben.
(Jochen Klepper (1903 - 1942) am Donnerstag, 10.12.1942, s. in "Unter dem Schatten deiner Flügel" München, dtv.Bd.1207, 2.A.1983, S. 1133)
Der Mann, der dies schrieb, war Jochen Klepper, der christliche Dichter und Schriftsteller, der am 10. Dezember des Jahres 1942 gemeinsam mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter aus erster Ehe in den Tod ging. Er wollte sich nicht von ihr trennen, um sein Leben zu retten. Aber er hatte wohl auch nicht die Kraft, das Grauen seiner Zeit auf sich zu nehmen. Er wußte sich und die Seinen dennoch geborgen Von ihm stammt auch das Eingangslied, in dem wir gesungen haben:

... Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor,
daß ich mit seinem Worte
begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte
ist er mir nah und spricht.
... Er spricht wie an dem Tage,
da er die Welt erschuf.
Da schweigen Angst und Klage,
nichts gilt mehr als sein Ruf.
... Ich werde nicht zusehenden, wenn ich ihn nur vernehm. ...
Er ist mir täglich nahe ...
Er will mich früh umhüllen
mit seinem Wort und Licht ...
Sein Wort will helle strahlen,
wie dunkel auch der Tag.
EKG 542; eg 452
Hören wir auf solche Zeugnisse und nehmen wir sie hinein in unser Leben. Wenn uns das gelingt, dann werden wir erleben, daß Gott immer um uns ist und sein Wort - auch dann, wenn es scharf und schneidend ist - dem Leben zum Siege verhilft. Dann verliert das Wort das Schreckliche, das den Mörder in Dostojewskis Geschichte umtrieb.
"Kein Geschöpf ist vor ihm verborgen"...
Das macht für viele den Gott der Juden und Christen so unheimlich.
Man kann ihn nicht sehen, man soll sich kein Bild machen - er aber sieht alles und weiß alles. Und dann entsteht das schlechte Gewissen
- und aus schlechtem Gewissen geschieht viel Übles in der Welt, auch Gewalt, Terror und Totschlag.

Da haben wir seit Dostojewski einiges hinzugelernt. Nicht zuletzt durch Sigmund Freuds Psychoanalyse haben wir von der seelischen Struktur des Menschen soviel erfahren, daß wir heute wissen: Gott läßt niemand allein, erst recht nicht mit einem schlechten Gewissen. Dostojewski hat in seinem Roman sehr ausführlich beschrieben, wie nahe der Mörder daran war, sich selbst umzubringen - oder aber noch weitere Menschen zu morden.
Die Liebe Gottes geht eben weit über Gut und Böse hinaus. Obwohl wir uns seit 2000 Jahren mit der Botschaft Jesu auseinandersetzen, ist es für uns noch immer und immer wieder ein Skandal, wenn wir daran denken, daß heute Jesus auch für Saddam Hussein gelitten hat, starb und auferstand.
Oft wissen wir nicht, wie nahe Gott uns ist und wie stark der Arm, der uns hält. Ihm dürfen wir vertrauen.

Paul Gerhardt, der Liederdichter, der während des Dreißigjährigen Krieges ein schweres Schicksal erlitten hat, wußte dies und schrieb:

Er hört die Seufzer deiner Seelen
und des Herzens stilles Klagen,
und was du keinem darfst erzählen,
magst du Gott gar kühnlich sagen.
Er ist nicht fern,
steht in der Mitten,
hört bald und gern
der Armen Bitten.
Gib dich zufrieden ...
EKG 295,5 eg 371,5

0 Herr,
höre du auch uns - und laß dein Wort eindringen in unser Herz, damit
es uns ganz erfüllt. Amen.

Lieder
EKG 542 Er weckt mich alle Morgen ... eg 452
EKG 190 Wohl denen, die da wandeln ... eg 295
EKG 431 Höchster Gott, wir danken dir ... eg ./.
EKG 336 All Morgen ist ganz frisch und neu ... eg 440

Materialien
- Strobel, August
"Der Brief an die Hebräer"
in Das Neue Testament Deutsch - NTD Band 9
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.12. A. 1981, S. 79 - 256;
hier: S. 118 - 120
- Biskup, Harald
"Abgewickelt in den Tod" in KÖLNER STADT-ANZEIGER 73 vom 26.03.1992
- Dostojewski, Fjodor Michailowitsch
"Die Brüder Karamasow", Zürich.Manesse Verlag, 2.A. 1987, Übertragung von Reinhold von Walter, S. 467 - 485, bes. S. 480
- Klepper, Jochen
"Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern 1932 - 1942"
herausgegeben von Hildegard Klepper, mit Genehmigung der Deutschen
Verlagsanstalt , Stuttgart (1956) erschienen im
Deutschen Taschenbuchverlag - dtv -, München. 2. A. 1983 als
Band 1207, S. 1133

Frieden und Gerechtigkeit in der Kirche

Predigt zum 18.10.1992 (18.S.n.Tr.)

Kanzelgruß:
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn
Jesus Christus. Amen.

Als Predigttext hören wir aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Rom aus dem 14. Kapitel:
(17) Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
(18) Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei
den Menschen geachtet.
(19) darum laßt uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur
Erbauung untereinander.
Rom. 14, 17 - 19
Lieber himmlischer Vater,
wie gern würden wir in Gerechtigkeit, Friede und Freude leben -
vor allem dann, wenn wir dir damit folgen und bei den Menschen geachtet werden. Aber das alles geschieht so nicht. Warum? Kannst du das ändern - können wir das? - Zeig du uns den Weg!
Amen
Der Textabschnitt heute gehört in einen größeren Zusammenhang. Paulus erklärt den Christen in Rom, daß sie sich nicht mit Äußerlichkeiten aufhalten sollen. Wenn einem Christen noch die alten Speisegebote des mosaischen Gesetzes wichtig sind, der soll sie beachten - auch weiterhin und nicht gestört werden dabei durch diejenigen, die ihr Glaubensleben von diesen Dingen Weg und hingewendet haben zum Kern der Botschaft Jesu. Er soll den, der die Speisegebote achtet, nicht stören, ihn in Ruhe lassen, denn das ist sein Weg, zu dem Kern der Botschaft Jesu zu gelangen.
Das Neue ist nun, daß dieser Kern der Botschaft Jesu, die Mitte des Reiches Gottes Gerechtigkeit, Friede und Freude sind. Vom Altar her hörten wir eine andere Geschichte, in der Jesus selbst spricht. Dort ist die Liebe der Kern seiner Botschaft - Mk. 11,28 - 34-. Das meint Paulus auch - er, der ja selbst an die Christen in Korinth schreibt:
"Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
1.Kor. 13,13
Doch können wir diese Liebe unter uns nicht einfach einfordern. Sie ist und bleibt Gnade und Geschenk. Für Christen gi1t, daß die Menschen überall auf dieser Welt die Liebe ihres Gottes erleben - auch dann, wenn ihnen das nicht bewußt ist. Wir sind uns sicher, daß als ein Zeichen, als Beweis und Siegel dieser Liebe Jesus Christus als Sohn Gottes auf diese Erde zu uns kam, als Mensch lebte, litt und starb und darüber hinaus uns voranging mit seiner Auferstehung, mit der er uns den Weg zu unser aller Vater, zu unserem Schöpfer weist. Weil uns die Liebe Gottes erreicht und weil wir uns dieser bewußt sind, deshalb haben wir die Kraft, auch unsererseits zu lieben und Liebe weiterzugeben. Das ist der Hintergrund vor dem unser Predigttext sagt, das Reich Gottes sei nicht Essen und Trinken.
Die römischen Christen hatten aus den Speisegesetzen ihrer Zeit vielfach Gewissensfragen gemacht - und so wucherten diese Auseinandersetzungen darüber, welches Gesetz wie wichtig sei, und die entscheidenden Fragen gerieten aus dem Blick. Kommt uns diese Erfahrung der römischen Christen nicht vertraut vor ?
Ich nenne einige Überschriften von Zeitungsüberschriften von Zeitungsartikeln der beiden letzten Jahre:
- "Kirchenaustritte sind immer häufiger. Stadtsuperintendent Kock zog Jahresbilanz" - KStA 278 v. 30.11./01.12.1991 -
- "Sie wollen nicht mehr daran glauben. Rekordzahlen bei Kirchenaustritten. (Stadtdechant) Westhoff sucht die 'wahren' Gründe!"
- KStA 61 v. 12.03.1992 -
- "Warum sich Kirchen leeren. In einem Gesprächskreis werden Gründe für den Austritt erörtert" - KStA 42 v. 19.02. 1992 -
- "Wir haben einen Christenmangel"
Zitat aus einem Gespräch des Kölner Stadt-Anzeiger mit dem Kardinal Meisner aus Köln - KStA 229 v. 01.10.1992 -
Schließlich fragt der Präses unserer Landeskirche Peter Beier, "Steht die Glaubwürdigkeit Gottes durch die Kirchen auf dem Spiel?" - Er beantwortet diese Frage gleich selbst: „Gottes Glaubwürdigkeit läßt sich durch nichts und niemanden, nicht einmal durch das Versagen der Kirchen aufs Spiel setzen.“ nach KStA 228 v. 30.09.1992.
Was ist geschehen, daß verantwortliche Leiter der beiden großen christlichen Kirchen im Rheinland öffentlich diese Fragen stellen und so reden?
Ich frage Sie, hat sich für Sie die Kirche, unsere Kirche, in den letzten Jahren verändert? Ist sie schwächer geworden - oder stärker? Hat sie Ihnen etwas sagen können - oder blieben die Sätze, die sie sagt, oberflächliche Worte, Formeln aus einer fremden Welt?
Für meine Person erlebe ich die Kirche auf recht unterschiedliche Weise. Im Kern ist sie solide, stark und geht den rechten Weg. Sie wird getragen von der Liebe Gottes und gibt diese Liebe auf vielfältige Weise weiter. Ein Beispiel dafür haben wir erlebt, als Pfarrer Baumann aus der Einrichtung "Hephata" in Mönchengladbach am 27. August 1992 bei uns zu Besuch war. Zugleich erlebe ich aber auch, daß sich die Kirche in den vielfältigen Aktionen in der Welt verliert. Sie produziert immer mehr Papier - häufig werden die Aussagen der Texte dadurch immer flacher und nichtssagender. Auf unserer Kreissynode melden sich immer weniger Laien zu Wort - und wenn das einmal geschieht, dann stellen sie nur eine Frage - sie bewegen dort wenig, sie werden bewegt.
Unsere Kirche wird immer mehr zu einer verwaltenden Kirche, zu einer Kirche, die re-agiert auf das, was in der Welt geschieht, ohne von sich aus ihre Botschaft wirksam und gezielt den Menschen so zu sagen, daß sie Halt-bekommen und ihren Weg in der Welt erkennen. Damit wir uns recht verstehen: Ich sage nicht, daß unsere Kirche so ist, sondern, daß sie auf dem Weg ist, so zu werden. Der Kirche geht es aber nicht allein so. Vereine und Verbände, die politischen Parteien und die Gewerkschaften stellen alle fest, daß ihnen die Mitglieder abhanden kommen.
Der Präses hat schon recht, wenn er sagt, das hätte mit der Glaubwürdigkeit zu tun. Noch am Freitag sagte mir jemand, er habe die Kirche verlassen. Das hätte aber nichts mit dem Glauben zu tun, sondern mit der Institution Kirche. Er sei zu oft und zu stark enttäuscht worden von Menschen, die in der Kirche das Sagen haben. Das alles hat mit dem zu tun, was der Apostel "Essen und Trinken" nennt.
Nun hat sich der Apostel nicht an eine Institution, an eine Kirche gewandt, sondern er schreibt an die Christen in Rom. Wir können uns heute auch als Adressaten verstehen "die Christen in Leverkusen-Manfort". "Laßt uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander"!
Wie gehen wir damit um?
Ich versuche, in dieser Kirche so zu wirken, daß sie offen ist für viele Menschen, daß sie zur Heimat aller Menschen werden kann -und doch erlebe ich immer wieder, daß meine Kräfte nicht ausreichen und ich sogar jene verletze, mit denen ich zusammen bin. Dann störe ich den Frieden und kann überhaupt nicht zur gegenseitigen Unterstützung beitragen - mit diesen Worten könnte man "Erbauung" übersetzen. Und doch ist da ein Weg, der weiterführt. Es sind andere da, die mir sagen: "So nicht!" Sie zeigen den Weg, sie gehen dann voran - und wir finden wieder zueinander.
Sehr lebhaft habe ich das am letzten Wochenende erlebt, als sich das Presbyterium das erste Mal ganz konkret mit der Nachfolge von Pfarrer Szyska beschäftigte.
Was aber hilft das Ihnen?
Lassen Sie mich noch einmal zur Kirche kommen und zu der erhöhten Zahl der Kirchenaustritte. Viele Menschen sind unzufrieden, weil sie von der Kirche mehr erwarten, als diese leisten kann, und oft mehr, als sie selbst bereit sind, zu tun. Die Kirche lebt aber davon, daß in ihr Menschen tätig sind, die den Glauben lebendig halten. Andere sind von der Kirche enttäuscht, weil Menschen in dieser Kirche sie verletzt haben. Schließlich gibt es auch Menschen, die überhaupt nicht wissen, weshalb sie in der Kirche sind oder die Aufgabe der Kirche mißverstehen als eine Dienstleistungseinrichtung für Taufen, Trauungen und Beerdigungen.
Es muß in Zukunft dahin kommen, daß wir alle miteinander zur Kirche kommen, zur Kirche gehören und in ihr leben, weil wir die Liebe Gottes erfahren haben und in der Gemeinschaft anderer diese Liebe in der Welt weitergeben wollen.
Damit bin ich nun bei uns - bei jedem einzelnen. Zunächst sollen wir was mit Vergebung, mit Frieden, mit Gerechtigkeit zu tun hat, unterscheiden vom weniger wichtigen - von allem, was mit Formvorschriften, mit Äußerlichkeiten und auch mit menschlicher Schwäche zu tun hat. Dann sollten wir uns nicht wichtiger nehmen, als wir sind. Schließlich aber sollten wir alles tun, was in unserer Kraft steht, damit in unserer Kirche die Liebe Gottes lebendig, wirksam und unter uns Menschen auch sichtbar wird. Dazu wird jeder gebraucht. Als einzelne wissen wir oft nicht recht, wie wir das tun können. Und in der Kirche wissen die Verantwortlichen gelegentlich auch nicht immer, was einem derart Suchenden helfen könnte. Dann bleiben diese enttäuscht draußen vor der Tür.
Der Apostel schreibt:
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.

Lieber himmlischer Vater,
wir bitten dich um den heiligen. Geist, damit er uns erfülle und Kraft gebe, Gerechtigkeit, Friede und Freude in unserem Lebens und Wirkungskreis lebendig zu erhalten. Amen

Kanzelsegen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als. all unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.


Lieder:

eg 443 Aus meines Herzens Grunde ... eg 397 Herzlich lieb hab ich dich ... eg 401 Liebe, die du ...
eg 213 Kommt her, ihr seid geladen ... eg 170 Komm, Herr, segne uns ...

Materialien:
-Althaus, Paul
"Der Brief an die Römer" - Kommentar -
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 13.A.1978. S. 139 - 141
"Das Neue Testament Deutsch" - NTD Bd. 6
- Barth, Karl
"Der Römerbrief" (1922)
Zürich. Theologischer Verlag. 15.A.1989, S. 147 f
- Krause, Christian in "Assoziationen. Gedanken zu biblischen
Texten", Band 2, herausgegeben von Walter Jens
Stuttgart, Radius Verlag, 1979, 5. 169 f

vgl. Dieter Stork
Ich träume eine Kirche, in der kein Mensch mehr lügt,
wo niemand einen andern in falscher Hoffnung wiegt.
Ich träume eine Kirche, die wahr ist und gerecht,
wir alle sind nun Freie und niemand Herr und Knecht. (Text und Melodie)