Montag, 29. Juni 2009

Das Lied der Geretteten

28.04.2002 Sonntag Kantate

Kanzelgruß
Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist, der da war und der da kommt:
Jesus Christus, der uns lieb hat. Amen.
nach Offb. 1,4+5

Der für den Sonntag Kantate vorgeschlagene Predigttext steht in der Offenbarung des Johannes. Der Seher Johannes hat Erscheinungen. Er sieht Bilder, die andere nicht sehen. Er hat Visionen. Hören wir ihm zu:

(2) "Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen
(3) und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
(4) Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Da, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden."
Offb. 15, 2-4

Lieber himmlischer Vater,
hilf uns, diese Bilder als deine Botschaft zu verstehen. Amen.

Der Seher Johannes hört (Audition) und sieht (Vision), was in der Zukunft geschieht. Keiner von uns weiß, wann und wie das sein wird. Der Seher berichtet von Bildern, die offensichtlich verschlüsselte Botschaften enthalten.
Das Lamm (= Christus) kämpft und besiegt (mit der Hilfe des Erzengels Michael) den Drachen (= das Böse, Satan, den Teufel). Dieser "Kampf“ findet im Himmel statt. Das gläserne Meer soll den durchsichtigen Himmelskörper darstellen.
Doch der Drache gibt nicht auf - und große Erschütterungen müssen die Erde treffen, ehe endgültig der Sieg des Lammes errungen und das Ende der Welt, der jüngste Tag, - und der Sieg der Geretteten gekommen ist.

Ein dramatische Gemälde stellt uns der Seher Johannes vor - ein audiovisuelles Drama läuft da ab. Und vor diesem letzten Akt halten die Kämpfer inne. Der Drache ist besiegt - der Himmel ist Sieger geblieben, die Geretteten jubeln und loben Gottes Stärke, Allmacht, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und seine Schöpfung. Das Lied der Sieger kann man es nennen, Meine Bibelausgabe überschreibt es "das Lied der „Überwinder". Ich möchte es das Lied der Geretteten nennen- - wie Mose Gott lobt, nachdem er das Volk der Juden durch das Schilfmeer geleitet hat (2. Mose, 15,11). Hier sind es die geretteten Seelen der Menschen, die nun im Himmel sind.

Paul Gerhardt greift diese Situation auf in seinem Liede

Ist Gott für mich, so trete
gleich alles wider mich,
so oft ich ruf und bete,
weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde
und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde
und Widersacher Rott (eg 351,1).

Aber er ist noch auf dieser unerlösten Erde. Er muß sich mit Krieg, Pest, Hungersnot und Tod auseinandersetzen, den vier apokalyptischen Reitern, die die Erde verwüsten (Offb. 6, 2-9). Aber er sagt uns, was es bedeutet, sich der Liebe Gottes sicher zu sein, seinem Wort vertrauen zu können. Und er schließt mit einem Jubel, den wir uns heute kaum vorstellen können von einem leidgeprüften Mann, der dies Lied im Nachklang des 30jährigen Kriegs (1618 - 1648) schrieb.

Mein Herze geht in Sprüngen
und kann nicht traurig sein,
ist voller Freud und Singen,
sieht lauter Freudenschein!
Die Sonne, die mir lachet,
ist mein Herr Jesus Christ,
das was mich singen machet,
ist, was im Himmel ist.
eg 351, 13

Christen singen, sie jubeln und sie danken für Gottes Liebe und Zuverlässigkeit. Jesus Christus kam auf die Erde, wirkte hier, litt und starb - aber er ist auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel. Das ist das Geheimnis des Widerspruchs, den manche Menschen sehen, wenn sie leidende Christen Gott loben hören.
Wenn wir an die Nachrichten denken - an die Kriegsherde in der Welt, vor allem in Israel und Umgebung, an die Gewalt rund um die Erde – und nicht zuletzt an das schreckliche Geschehen in Erfurt - dann fragen uns andere und wir selbst uns wohl auch, ob wir noch, jubeln und Gott loben können.
Sie wissen davon, daß am Freitag, 26.04.2002, also vorgestern, ein 19-jähriger in einem Erfurter Gymnasium 16 Menschen tötet und anschließend Selbstmord begeht (9 Lehrer, 3 Lehrerinnen = 12 Lehrkräfte; 1 Sekretärin, 2 Schülerinnen). Erschüttert stehen wir vor diesem grauenvollen Geschehen. Wir denken an die Opfer, die Angehörigen. - Noch ist es zu früh, Ursachen zu analysieren.
Aber eines können wir wohl sagen: Der Täter kannte nicht die Sonne, die auch für ihn schien. Er kannte nicht, was im Himmel ist und Paul Gerhardt zum Singen bringt.
Jetzt müssen wir unsere Klage vor Gott bringen! Laut schreien:

HERR, warum stehst du so ferne,
verbirgst dich zur Zeit der Not?
Weil der Gottlose Übermut treibt,
müssen die Elenden leiden;
sie werden gefangen in den Ränken, die er ersann. ...
Steh auf! HERR! Gott, erhebe deine Hand!
Vergiß die Elenden nicht! ...

So ruft der Psalmdichter zu Gott in seiner Verzweiflung (Ps 10). Am Ende findet er sich geborgen in der Gewißheit:

Das Verlangen der Elenden hörst du, HERR;
du machst ihr Herz gewiß,
dein Ohr merkt darauf,
daß du Recht schaffest den Waisen und Armen,
daß der Mensch nicht trotze auf Erden.

Für uns ist das Geschehen ein erneuter Anruf: Bist du mit dem, was dir anvertraut ist, hier auf dieser Erde, liebevoll, achtsam und dankbar umgegangen? Haben die Menschen, mit denen wir zusammenkommen, etwas von dieser Liebe spüren können? - Wer von uns kann sagen: So bin ich immer gewesen. Das habe ich immer getan!
Und mehr noch: Den Opfern und den Angehörigen in Erfurt können wir hier nicht viel helfen - außer, für sie zu beten. Aber wir können uns darum mühen, nicht selbst Gewalt anzuwenden und - vor allem - nicht gewalttätig zu denken und zu reden. So bereiten sich Gewalttaten vor.
Das alles kann nur in unseren menschlichen Grenzen gelingen, wenn wir - altmodisch gesagt "Gott die Ehre geben" - uns dankbar Gott zuwenden und sehen, hören und annehmen, was er in seiner Schöpfung und mit all seiner Liebe gibt. Wir erkennen nicht alles. Vieles wissen wir nicht. Aber wir können uns bemühen, aufmerksam zu sein. Wir können die Sonne, den Regen, schmerzfreie Tage, streitfreie Stunden - dankbar annehmen und mit Paul Gerhardt einstimmen:
Das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.
Dazu möge uns Gott verhelfen! Amen.

Kanzelsegen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem HERRN!
Amen.

Lieder:
eg 302 Du meine Seele singe
eg 243 Lob Gott getrost mit Singen
eg 351 Ist Gott für mich, so trete
eg 640 Die Herrlichkeit des Herrn

Materialien:
- "Stuttgarter Erklärungsbibel" Luthertext 1984 - ohne Apokryphen -
mit Einführungen und Erklärungen. Stuttgart. 2.A. 1992
- "Neue Jerusalemer Bibel "Einheitsübersetzung mit Kommentar der
Jerusalemer Bibel. Freiburg.Herder.12.A.1985
- Müller, Ulrich B.
"Die Offenbarung des Johannes", Gütersloh. Gütersloher Verlagshaus.
12. A. 1995, S. 163 - 170, S. 260 - 264
Ökumenischer Taschenkommentar zum Neuen Testament, Band 16, GTB 510
- Lohse, Eduard
"Die Offenbarung des Johannes" Neues Testament Deutsch - NTD 11 -Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 12. A. 1979, S. 88f
- Voigt, Gottfried
"Die lebendigen Steine" Homiletische Auslegung der Predigttexte, Reihe VI, Göttingen, V&R, 2.A. 1989, S. 228 - 234
- KÖLNER STADT- ANZEIGER 98 - 2002 - 04 - 27/28-
Titelseite, S. 2 und 3
"Entsetzen nach Blutbad in Erfurter Gymnasium"
"Die Frage nach den Ursachen"
"Wir sind nur gerannt, um da herauszukommen"


Aus der Liturgie


Kollektengebet:
Herr,
du hast alles überwunden,
was uns voneinander trennt
zur Gemeinde uns verbunden,
die den Nächsten anerkennt.
Hilf die Liebe zu erwidern,
die du uns erwiesen hast,
in der Welt an unsern Brüdern,
ihrem Elend, ihrer Last.
Detlev Block nach eg 609

Fürbittengebet:

Gott,
so viele leben in unserer Stadt,
die ihren täglichen Kampf
mit dem Tod allein ausmachen.
Für die keine lebendige Hoffnung mehr ist.
So viele - die wir kennen,
aber deren Sorgen wir
nie ernst genommen haben.

Für die alle bitten wir heute:
Gib ihnen Menschen,
die ihnen deine Liebe vorleben
und sie auf den Weg mitnehmen
vom Dunkel ins Licht.

Wir bitten für alle,
die an einem Verlust tragen.
Wir bitten auch für die Angehörigen der Toten
des Anschlags in Erfurt,
für alle, die im Tod oder Leben
einen Geliebten verloren.
Zeig ihnen, daß nichts das letzte Wort hat,
wenn nicht du;
du schenkst Leben ohne Ende.

Wir bitten dich für alle,
die keinen Sinn mehr sehen,
die süchtig sind nach Alkohol, Erfolg, Liebe,
die bei der verzweifelten Anstrengung zu überleben
sich zu Außenseitern machen oder dazu gemacht werden.

Laß sie Gesprächspartner finden,
zur Ruhe kommen in dir.

Wir bitten für alle nah und fern,
die unter anderen Menschen leiden müssen.
Wir bitten
für die Opfer des Anschlags in Erfurt,
- die Kinder, die ansehen mußten, wie Mitschülerinnen, Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer getötet wurden,
- die Lehrerinnen und Lehrer, die nicht helfen konnten,
- die Polizistinnen und Polizisten, die Helferinnen und Helfer, die das Grauen dieses Einsatzes lange Zeit nicht vergessen können.

Wir bitten für die,
die dich in Krieg und Hunger vergessen,
und für die, die in allem Elend dir noch vertrauen.
Laß sie alle in uns ihre Geschwister finden, die Vertrauen schenken und stärken.
Gott,
du bist ein Gott des Lebens, nicht des Todes.
Mache uns mutig und bereit,
für dies Leben zu kämpfen,
wo der Tod regiert.
Das bitten wir im Namen Jesu.
nach eg 928, S.1428

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