Sonntag, 5. April 2009

Frieden und Gerechtigkeit in der Kirche

Predigt zum 18.10.1992 (18.S.n.Tr.)

Kanzelgruß:
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn
Jesus Christus. Amen.

Als Predigttext hören wir aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Rom aus dem 14. Kapitel:
(17) Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
(18) Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei
den Menschen geachtet.
(19) darum laßt uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur
Erbauung untereinander.
Rom. 14, 17 - 19
Lieber himmlischer Vater,
wie gern würden wir in Gerechtigkeit, Friede und Freude leben -
vor allem dann, wenn wir dir damit folgen und bei den Menschen geachtet werden. Aber das alles geschieht so nicht. Warum? Kannst du das ändern - können wir das? - Zeig du uns den Weg!
Amen
Der Textabschnitt heute gehört in einen größeren Zusammenhang. Paulus erklärt den Christen in Rom, daß sie sich nicht mit Äußerlichkeiten aufhalten sollen. Wenn einem Christen noch die alten Speisegebote des mosaischen Gesetzes wichtig sind, der soll sie beachten - auch weiterhin und nicht gestört werden dabei durch diejenigen, die ihr Glaubensleben von diesen Dingen Weg und hingewendet haben zum Kern der Botschaft Jesu. Er soll den, der die Speisegebote achtet, nicht stören, ihn in Ruhe lassen, denn das ist sein Weg, zu dem Kern der Botschaft Jesu zu gelangen.
Das Neue ist nun, daß dieser Kern der Botschaft Jesu, die Mitte des Reiches Gottes Gerechtigkeit, Friede und Freude sind. Vom Altar her hörten wir eine andere Geschichte, in der Jesus selbst spricht. Dort ist die Liebe der Kern seiner Botschaft - Mk. 11,28 - 34-. Das meint Paulus auch - er, der ja selbst an die Christen in Korinth schreibt:
"Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
1.Kor. 13,13
Doch können wir diese Liebe unter uns nicht einfach einfordern. Sie ist und bleibt Gnade und Geschenk. Für Christen gi1t, daß die Menschen überall auf dieser Welt die Liebe ihres Gottes erleben - auch dann, wenn ihnen das nicht bewußt ist. Wir sind uns sicher, daß als ein Zeichen, als Beweis und Siegel dieser Liebe Jesus Christus als Sohn Gottes auf diese Erde zu uns kam, als Mensch lebte, litt und starb und darüber hinaus uns voranging mit seiner Auferstehung, mit der er uns den Weg zu unser aller Vater, zu unserem Schöpfer weist. Weil uns die Liebe Gottes erreicht und weil wir uns dieser bewußt sind, deshalb haben wir die Kraft, auch unsererseits zu lieben und Liebe weiterzugeben. Das ist der Hintergrund vor dem unser Predigttext sagt, das Reich Gottes sei nicht Essen und Trinken.
Die römischen Christen hatten aus den Speisegesetzen ihrer Zeit vielfach Gewissensfragen gemacht - und so wucherten diese Auseinandersetzungen darüber, welches Gesetz wie wichtig sei, und die entscheidenden Fragen gerieten aus dem Blick. Kommt uns diese Erfahrung der römischen Christen nicht vertraut vor ?
Ich nenne einige Überschriften von Zeitungsüberschriften von Zeitungsartikeln der beiden letzten Jahre:
- "Kirchenaustritte sind immer häufiger. Stadtsuperintendent Kock zog Jahresbilanz" - KStA 278 v. 30.11./01.12.1991 -
- "Sie wollen nicht mehr daran glauben. Rekordzahlen bei Kirchenaustritten. (Stadtdechant) Westhoff sucht die 'wahren' Gründe!"
- KStA 61 v. 12.03.1992 -
- "Warum sich Kirchen leeren. In einem Gesprächskreis werden Gründe für den Austritt erörtert" - KStA 42 v. 19.02. 1992 -
- "Wir haben einen Christenmangel"
Zitat aus einem Gespräch des Kölner Stadt-Anzeiger mit dem Kardinal Meisner aus Köln - KStA 229 v. 01.10.1992 -
Schließlich fragt der Präses unserer Landeskirche Peter Beier, "Steht die Glaubwürdigkeit Gottes durch die Kirchen auf dem Spiel?" - Er beantwortet diese Frage gleich selbst: „Gottes Glaubwürdigkeit läßt sich durch nichts und niemanden, nicht einmal durch das Versagen der Kirchen aufs Spiel setzen.“ nach KStA 228 v. 30.09.1992.
Was ist geschehen, daß verantwortliche Leiter der beiden großen christlichen Kirchen im Rheinland öffentlich diese Fragen stellen und so reden?
Ich frage Sie, hat sich für Sie die Kirche, unsere Kirche, in den letzten Jahren verändert? Ist sie schwächer geworden - oder stärker? Hat sie Ihnen etwas sagen können - oder blieben die Sätze, die sie sagt, oberflächliche Worte, Formeln aus einer fremden Welt?
Für meine Person erlebe ich die Kirche auf recht unterschiedliche Weise. Im Kern ist sie solide, stark und geht den rechten Weg. Sie wird getragen von der Liebe Gottes und gibt diese Liebe auf vielfältige Weise weiter. Ein Beispiel dafür haben wir erlebt, als Pfarrer Baumann aus der Einrichtung "Hephata" in Mönchengladbach am 27. August 1992 bei uns zu Besuch war. Zugleich erlebe ich aber auch, daß sich die Kirche in den vielfältigen Aktionen in der Welt verliert. Sie produziert immer mehr Papier - häufig werden die Aussagen der Texte dadurch immer flacher und nichtssagender. Auf unserer Kreissynode melden sich immer weniger Laien zu Wort - und wenn das einmal geschieht, dann stellen sie nur eine Frage - sie bewegen dort wenig, sie werden bewegt.
Unsere Kirche wird immer mehr zu einer verwaltenden Kirche, zu einer Kirche, die re-agiert auf das, was in der Welt geschieht, ohne von sich aus ihre Botschaft wirksam und gezielt den Menschen so zu sagen, daß sie Halt-bekommen und ihren Weg in der Welt erkennen. Damit wir uns recht verstehen: Ich sage nicht, daß unsere Kirche so ist, sondern, daß sie auf dem Weg ist, so zu werden. Der Kirche geht es aber nicht allein so. Vereine und Verbände, die politischen Parteien und die Gewerkschaften stellen alle fest, daß ihnen die Mitglieder abhanden kommen.
Der Präses hat schon recht, wenn er sagt, das hätte mit der Glaubwürdigkeit zu tun. Noch am Freitag sagte mir jemand, er habe die Kirche verlassen. Das hätte aber nichts mit dem Glauben zu tun, sondern mit der Institution Kirche. Er sei zu oft und zu stark enttäuscht worden von Menschen, die in der Kirche das Sagen haben. Das alles hat mit dem zu tun, was der Apostel "Essen und Trinken" nennt.
Nun hat sich der Apostel nicht an eine Institution, an eine Kirche gewandt, sondern er schreibt an die Christen in Rom. Wir können uns heute auch als Adressaten verstehen "die Christen in Leverkusen-Manfort". "Laßt uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander"!
Wie gehen wir damit um?
Ich versuche, in dieser Kirche so zu wirken, daß sie offen ist für viele Menschen, daß sie zur Heimat aller Menschen werden kann -und doch erlebe ich immer wieder, daß meine Kräfte nicht ausreichen und ich sogar jene verletze, mit denen ich zusammen bin. Dann störe ich den Frieden und kann überhaupt nicht zur gegenseitigen Unterstützung beitragen - mit diesen Worten könnte man "Erbauung" übersetzen. Und doch ist da ein Weg, der weiterführt. Es sind andere da, die mir sagen: "So nicht!" Sie zeigen den Weg, sie gehen dann voran - und wir finden wieder zueinander.
Sehr lebhaft habe ich das am letzten Wochenende erlebt, als sich das Presbyterium das erste Mal ganz konkret mit der Nachfolge von Pfarrer Szyska beschäftigte.
Was aber hilft das Ihnen?
Lassen Sie mich noch einmal zur Kirche kommen und zu der erhöhten Zahl der Kirchenaustritte. Viele Menschen sind unzufrieden, weil sie von der Kirche mehr erwarten, als diese leisten kann, und oft mehr, als sie selbst bereit sind, zu tun. Die Kirche lebt aber davon, daß in ihr Menschen tätig sind, die den Glauben lebendig halten. Andere sind von der Kirche enttäuscht, weil Menschen in dieser Kirche sie verletzt haben. Schließlich gibt es auch Menschen, die überhaupt nicht wissen, weshalb sie in der Kirche sind oder die Aufgabe der Kirche mißverstehen als eine Dienstleistungseinrichtung für Taufen, Trauungen und Beerdigungen.
Es muß in Zukunft dahin kommen, daß wir alle miteinander zur Kirche kommen, zur Kirche gehören und in ihr leben, weil wir die Liebe Gottes erfahren haben und in der Gemeinschaft anderer diese Liebe in der Welt weitergeben wollen.
Damit bin ich nun bei uns - bei jedem einzelnen. Zunächst sollen wir was mit Vergebung, mit Frieden, mit Gerechtigkeit zu tun hat, unterscheiden vom weniger wichtigen - von allem, was mit Formvorschriften, mit Äußerlichkeiten und auch mit menschlicher Schwäche zu tun hat. Dann sollten wir uns nicht wichtiger nehmen, als wir sind. Schließlich aber sollten wir alles tun, was in unserer Kraft steht, damit in unserer Kirche die Liebe Gottes lebendig, wirksam und unter uns Menschen auch sichtbar wird. Dazu wird jeder gebraucht. Als einzelne wissen wir oft nicht recht, wie wir das tun können. Und in der Kirche wissen die Verantwortlichen gelegentlich auch nicht immer, was einem derart Suchenden helfen könnte. Dann bleiben diese enttäuscht draußen vor der Tür.
Der Apostel schreibt:
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.

Lieber himmlischer Vater,
wir bitten dich um den heiligen. Geist, damit er uns erfülle und Kraft gebe, Gerechtigkeit, Friede und Freude in unserem Lebens und Wirkungskreis lebendig zu erhalten. Amen

Kanzelsegen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als. all unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.


Lieder:

eg 443 Aus meines Herzens Grunde ... eg 397 Herzlich lieb hab ich dich ... eg 401 Liebe, die du ...
eg 213 Kommt her, ihr seid geladen ... eg 170 Komm, Herr, segne uns ...

Materialien:
-Althaus, Paul
"Der Brief an die Römer" - Kommentar -
Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 13.A.1978. S. 139 - 141
"Das Neue Testament Deutsch" - NTD Bd. 6
- Barth, Karl
"Der Römerbrief" (1922)
Zürich. Theologischer Verlag. 15.A.1989, S. 147 f
- Krause, Christian in "Assoziationen. Gedanken zu biblischen
Texten", Band 2, herausgegeben von Walter Jens
Stuttgart, Radius Verlag, 1979, 5. 169 f

vgl. Dieter Stork
Ich träume eine Kirche, in der kein Mensch mehr lügt,
wo niemand einen andern in falscher Hoffnung wiegt.
Ich träume eine Kirche, die wahr ist und gerecht,
wir alle sind nun Freie und niemand Herr und Knecht. (Text und Melodie)

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