Donnerstag, 22. Januar 2009

"Herr, in deinem Namen gehorchen uns auch die bösen Geister"

01.05.1977

"Herr, in deinem Namen gehorchen uns auch die bösen Geister"

Vorbemerkung:
Die folgende Predigt ist - mit Veränderungen - insgesamt drei Mal an verschiedenen Predigtstätten gehalten worden:
01.05.1977 - Jubilate - Urfassung - in Leverkusen-Steinbüchel
18.06.1978 - mit Ergänzungen 1978 in Leverkusen-Manfort
04.05.1985 - Kantate - in Leverkusen-Wiesdorf mit entsprechenden Ergänzungen 1985

Die Ergänzungen von 1978 und 1985 wurden durch Streichungen in der Urfassung in etwa ausgeglichen. Ich habe dennoch auch die Ergänzungen einbezogen in diese Niederschrift, um den Zeitbezug zu dokumentieren.
Leverkusen, 04.01.2009 Helmut Böhme

Kanzelgruß
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Wir hören den Predigttext des heutigen Sonntags Jubilate aus dem Evangelium nach Lukas in der Übersetzung von Helmut Riethmüller ("Fotobibel", Stuttgart/Kevelaer, 1972, S. 225). Dort heißt es im 10. Kapitel, 17-20:

(17) Die siebzig Jünger kehrten voll Freude zurück und berichteten:
"Herr, in deinem Namen gehorchen uns auch die bösen Geister."
(18) Er sprach zu: ihnen: "Ich habe den Satan wie einen Blitz aus dem
Himmel stürzen sehen.
(19) Euch habe ich Macht gegeben auf Schlangen und Skorpione zu treten,
und Gewalt über alle Stärke des Feindes. Nichts kann euch Schaden
zufügen.
(20) Indessen freut euch nicht, weil euch die Dämonen gehorchen müssen.
Freut euch vielmehr darüber, daß eure Namen bei Gott angeschrieben
sind."
Herr, unser Gott, wir haben dein Wort gehört. Doch ist uns vieles an ihm fremd und unverständlich. Gib, daß wir in diesem Gottesdienst dein Wort besser verstehen lernen. Amen.

Wie kommt es zu dem, was uns hier berichtet wird?
Jesus zieht durch das im Norden Palästinas gelegene Land Galiläa. Er predigt, sammelt eine Gemeinde um sich und heilt Kranke. Nun kommt die Zeit, in der sich sein irdisches Schicksal vollenden soll. Deshalb wendet sich Jesus nach Süden. Er macht keinen Umweg um das Land Samarien, das die jüdischen Länder Galiläa im Norden und Judäa im Süden voneinander trennt. Die Juden sehen mit etwas Verachtung auf diesen "heidnischen" Landstrich und seine Bewohner herab. So kommt es, daß auch die Samariter den Juden nicht besonders freundlich gesonnen sind. "Die sind ja doch meistens auf der Durchreise und wollen von den Samaritern nichts wissen ", so meinen die Bewohner von Samarien. Jesus läßt sich von diese: sich von dieser gegenseitigen Einschätzung nicht beirren. Er macht sich auf und zieht mitten durch Samarien hindurch, um zum Passahfest in Jerusalem zu sein., das im Lande Judäa liegt. Während er durch das Land zieht, schickt er von der großen Zahl derer, die ihn begleiten, eine ganze Schar aus, die seine Ankunft kundtun und den Bewohnern der Landstriche ringsumher von ihm erzählen sollen. Diese Ausgesandten kommen nun zurück und berichten von ihren Erfahrungen. Eine davon beschäftigt sie ganz besonders stolz: Wann immer und wo auch immer sie von Jesus erzählten und berichteten, daß sie in seinem Auftrage kamen, dann gehorchten ihnen die bösen Geister und Dämonen.
Jesus antwortet ihnen. Er stellt fest, daß sie sich wirklich darüber freuen können. Aber er weist auch darauf hin, daß sie erst durch ihn diese Kraft bekommen haben. Doch dann erklärt er, daß es. im Grunde nicht auf das Gehorchen der bösen Geister ankommt, sondern darauf, daß sie, die Jünger, seine Abgesandten, bei Gott bekannt, bei Gott mit ihren Namen eingeschrieben sind. Auf diese Weise macht er deutlich, daß erst von daher ihre Kraft kommen kann.
Die Bibel ist voller Berichte und Erzählungen. Manche von ihnen begleiten uns von der Kindheit bis ins hohe Alter. Sie werden nicht langweilig, sondern fesseln uns immer von neuem. Das geht uns mit der Geschichte von Kain und Abel so, mit der Erzählung von David und Goliath und auch - Karfreitag liegt noch nicht weit zurück - mit dem Bericht von der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane. Andere Textstellen sind schwer zu behalten, weil sie Gedanken wiedergeben. Wir vergessen sie leicht und haben Mühe, uns an sie zu erinnern. Schließlich gibt es auch Berichte in der Bibel, die wohl sehr anschaulich beschreiben, aber dazu Worte verwenden, die wir nicht kennen, unter denen wir uns nichts mehr vorstellen können.
Ich meine, es dürfte vielen von uns mit diesem Text so gehen: "Herr, in deinem Namen gehorchen uns auch die bösen Geister." So stellen die Jünger verwundert fest. Gibt es denn überhaupt Geister?
Diejenigen, die im Altertum die Evangelien mündlich oder schriftlich überlieferten, hatten da keine Zweifel. Für sie stand fest, daß es überirdische gibt, die das Böse in der Welt verkörpern und daß diese
das Böse in der Welt verkörpern und daß diese Wesen in der Welt auf man mancherlei Weise leibhaftig in Erscheinung treten. Auch in der Lutherzeit im Mittelalter, war diese Überzeugung in den Menschen lebendig. Von daher sollten wir versuchen, einen Zugang zu diesem Text zu finden.
Heute ist nachgewiesen, daß es keine Geister und Dämonen, keinen Satan mit Bocksgehörn und auf Pferdehufen gibt.

Und was geschieht heute? - Zwei Hinweise -
Am 30. Juni 1976 stirbt die 23-jährige Studentin der Pädagogik und Theologie, Anneliese Michel, im fränkischen Weinort Klingenberg, nahe Aschaffenburg. Seit längerer Zeit war sie leidend. Die Arzte diagnostizieren Epilepsie. Als das Leiden zunimmt, ziehen die frommen Eltern Priester hinzu. Diese stellen fest, daß Anneliese Michel vom Teufel besessen ist. Mit Genehmigung der Eltern und des Bischofs wird schließlich mit der Teufelsaustreibung begonnen. Die Teufelaustreiber berichten später, Anneliese Michel sei von mehreren Teufeln besessen gewesen. Einer habe Nero, ein anderer Judas geheißen. Man hätte den Eindruck gehabt, ein halbes Dutzend Teufel habe die junge Frau gequält. Ärzte, die nach dem Todesfall die Todesursache feststellen sollten, können nur erkennen, daß Anneliese Michel verhungert und verdurstet ist. Ein Arzt war monatelang nicht mehr zu ihr gekommen. –

Ergänzung 18.06.1978;
In den letzten Tagen lasen wir zwei verschiedene Pressenotizen: Tonbandaufnahmen der Teufelsaustreibung wurden im Schulunterricht abgespielt,
- nach der einen Meldung, um die Existenz des Teufels zu beweisen,
- nach der anderen, um die Schüler über die Spaltung unter den Katholiken in die "Progressiven" und die "Traditionalisten" zu informieren .
In beiden Fällen ist dieser Weg der falsche, um das jeweils genannte Ziel zu erreichen.
Waren das nun doch Teufel und Dämonen, böse Geister gewesen, die den armen geplagten Menschen heute noch, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts heimsuchen?

Und der zweite Hinweis:
Seit zwanzig und mehr Jahren tritt die gesamte abendländische - und in zunehmenden Maße auch die übrige - Welt für die Anerkennung, Durchsetzung und Währung der Menschenrechte ein. In Deutschland wurde die Folter, eine der unmenschlichsten Einrichtungen, die Menschen jemals erfanden und auf Menschen angewandt haben, bereits vor 240 Jahren in Preußen und wenige Jahre danach in den anderen Staaten abgeschafft, Wir haben eine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1948, in der es heißt: Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden (Art. 5). Zwei Jahre später beschließt der Europarat einen gleichlautenden Artikel in seiner Menschenrechtskonvention. Mit großem Abscheu blickte die übrige Welt auf die grausamen Vorgänge, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland geschahen. Im Jahre 1976 wurde ein Buch neu aufgelegt, das als erstes dokumentarisch über diese Seite des sogenannten "Dritten Reiches" berichtete (Eugen Kogon: "Der SS-Staat").

Ergänzung 08.05.1985:
Am 08.05.1985 jährt sich der Tag der bedingungslosen Kapitulation des "Großdeutschen Reiches" der Nationalsozialisten zum 40. Mal. Wir haben eine Vielzahl von Erinnerungssendungen in Hörfunk und Fernsehen, aber auch in Zeitungen und Zeitschriften sowie auf dem Buchmarkt. In einem sind sich alle einig: Das damals geschah, das darf sich niemals wiederholen.
(Nachträglicher Hinweis: Richard von Weizsäcker "Der 8. Mai 1945 -40 Jahre danach", Rede vor dem deutschen Bundestag, in: Weizsäcker "Von Deutschland aus. Reden des Bundespräsidenten", München, dtv Zeitgeschichte, Band10639, 1987, S.9)
Und heute erleben wir nun eine Wiedergeburt an Terror und schlimmsten Folterungen überall auf der Welt, in Europa ebenso wie in Asien, Amerika und Afrika. Die Schrecken des finstersten Mittelalters werden verstärkt durch die Ausnutzung der neuesten Erkenntnisse von Wissenschaft und Forschung für diese grausamen Zwecke. Es wird heute und jeden Tag von neuem gefoltert und gequält - oft, um von Opfern Geständnisse zu erpressen, nicht selten aber nur, um Angst und Furcht, um Terror zu verbreiten .
Sind Menschen, die solches ersinnen, und solche, die es anwenden, nicht auch böse Geister und Teufel?
Im Jahre 1975 erschien ein Taschenbuch "Bericht über die Folter". Es ist eine Dokumentation von Folterungen, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre überall auf der Welt geschehen sind.
Wir sind nicht besser als die Menschen viele Jahrhunderte vor uns. Wir wissen allerdings, daß es keinen leibhaftigen Teufel, keinen Satan und keine Dämonen gibt. Die Erfahrungen in unserem eigenen Volk haben auch gezeigt, daß die Folterer und Peiniger ebenfalls keine böser Geister sind, sondern weithin schwache, verführte, minderbegabte und enttäuschte, vielfach auch verbrecherische Menschen.
In der bildhaften Sprache der Bibel soll uns heute gesagt werden, daß die Schwachheit und das Böse in uns überwunden werden kann, wenn wir uns entschließen, im Namen Jesu zu handeln.
Zu allen Zeiten gab es überall in der Welt Böses und Schwaches. Das wird auch in aller irdischen Zukunft so sein. Von daher erklärt sich das anscheinend Unerklärliche sowohl bei Anneliese Michel wie bei den Folterungen in unseren Tagen. Aber dies wird für den Christen, der die Botschaft Christi zu hören und zu verstehen gelernt hat, zweitrangig. Es verliert an Bedeutung.
Kein Christ ist ohne Fehler und ohne Schwächen. Kein Christ ist absolut gut. Kein Christ auch kann durch ein bestimmtes Handeln hier auf Erden erreichen, daß er seine Seele für die Ewigkeit rettet.
Ein Christ aber lebt - er vegetiert nicht. Ein Christ lebt unter dem Gesetz der Liebe. Es ist nicht ganz einfach, sich heute deutlich zu machen, was dieses Gesetz von uns fordert. Der gezielte Einsatz von Massenmedien und Werbungsträgern hat auch hier unsere Sinne und unsere Verständnisfähigkeit abgestumpft.
Aber trotz alledem ist es Gottes Auftrag an uns, Liebe zu geben - und dankbar anzunehmen. Das Wort dieses Sonntags enthält auch diesen Aufruf: Gehet hin und handelt im Namen Gottes, im Namen seines Sohnes Jesus Christus, lebet die Liebe!
Als die zurückkehrenden Boten zu Jesus kommen und ihm berichten, was ihr Tun bewirkt hat, da freut sich Jesus mit ihnen. "Freut euch darüber, daß die Kraft, die ihr gewonnen habt, das Böse in der Welt und in euch selbst so radikal und vollständig vernichtet. Ja, ich habe euch diese Kraft gegeben. - Aber denkt daran, daß diese Kraft nur deshalb mit euch ist, weil ihr das Gesetz Gottes erfüllt. Eure Namen sind bei Gott angeschrieben." das heißt soviel wie: "Ihr habt euch Gott verschrieben. Bei Gott seid ihr bekannt - bekannt als seine Boten, als Jesu Jünger. Das macht euch stark gegenüber dieser Welt - und gegenüber den Kräften dieser Erde."

Ein Mann, der sich sehr stark als ein solcher Gesandter Gottes fühlte, aber zugleich erkannte, daß er dennoch ganz der Erde zugehörte, der Theologe Dietrich Bonhoeffer, hat einmal gefragt: Wer bin ich? Er war lange Jahre in verschiedenen Gefängnissen - häufig in Einzelhaft -, ehe er 1945 von den Nationalsozialisten erschossen wurde. Fragen wir uns ob er nicht auch für uns spricht, wenn er sagt:

Wer bin ich?

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig und lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

aus "Widerstand und Ergebung". Siebenstern-Taschenbuch Bd. 1. München, 1951, S. 179; Dietrich Bonhoeffer Werke,1 Band 8, Chr. Kaiser Verlag/Gütersloher Verlagshaus Gütersloh, 199B, S. 513 f


Fragen auch wir nicht manches Mal - uns selbst, andere und wohl auch Gott in dieser Weise?
Wir haben andere Anlässe so zu fragen. Wir werden wohl auch andere Erlebnisse anführen, wenn wir an unsere Schwachheit: denken. Entscheidend aber ist, daß auch wir diese Antwort geben können: "Wer ich auch bin. Du kennst mich. Dein bin ich, o Gott!"
Vielleicht sollten wir uns öfters fragen, wer wir eigentlich sind - und uns vor Augen halten, daß im Grunde nur die Antwort, die Bonhoeffer hier gibt, die entscheidende Antwort ist.
Ein Weiteres sollten wir bedenken: Jesus zog bewußt von einem jüdischen Staat in den anderen durch ein heidnisches Land hindurch. Es ging nicht um die Zeit, die ein Umweg gekostet hätte, es war vor allem eine Demonstration.

Bonhoeffer sagt dazu:

Christen und Heiden
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
Das tun sie alle, Christen und Heiden.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in seinem Leiden.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
in "Widerstand und Ergebung", a a O, 1951, S. 182; a a O, 1996, S. 515 f

Das ist die Zusage, die Jesus in seiner Person uns gibt. Das ist aber auch der Hinweis, den er in unserem Text gibt, wenn er sagt, daß die Namen der Jünger bei Gott angeschrieben sind. "Er kennt uns bei Namen. Er hat uns vergeben." Das sind die festen, die großen, die unerschöpflich neuen Worte von Christi Botschaft auch heute, hier in unserer Gemeinde.
Mancher, der uns zuhört, mag sich fragen, was geht das mich an? Ich bin kein Mensch, von dem hier gesprochen wird. Es gibt viele einfache Gründe, in die Kirche zu gehen. Konfirmanden müssen häufig eine bestimmte Zahl von Gottesdienstbesuchen nachweisen, für andere ist es eine Gewohnheit, manche kommen wegen eines Pfarrers. Vielleicht ist auch ein Mensch hier, der nicht an Gott glauben kann - vielleicht sucht er? - Kann Gott auch ihn ausgesandt haben? - Ja, natürlich! Gott kann jeden von uns aussenden.
Gott hat jeden gerufen. Sie ebenso wie mich. Manchen von uns gibt er es deutlich in den Sinn und in die Hand, wie er wirken soll - mit persönlichen Gaben oder dadurch, daß die Entwicklung den Betreffenden ganz plötzlich vor eine Aufgabe stellt, an der er erkennen kann: Hier verlangt mich Gott. Anderen bleibt der Ruf Gottes rätselhaft. Sie hören ihn kaum, verstehen ihn nicht - und handeln sie? Wie sollten sie das, wenn sie seinen Ruf nicht verstehen. Wieder andere hören Gott nicht einmal mehr. Für sie ist Gott eine Hilfskonstruktion, weil der erdgebundene Mensch ein überirdisches, höheres Wesen braucht, an das er glauben kann.
Allen aber ruft Gott zu: Hört auf mich, folgt meinem Ruf, meiner Botschaft der Liebe und der Vergebung, der Gnade und der Barmherzigkeit, stellt euch unter dieses Gesetz eures Gotte! -
Das muß nicht öffentlich sein. Ja, es braucht nicht einmal mit Kirche zu tun haben. Jeder von uns dient Gott, indem er Tag für Tag die Liebe, die Vergebung und die Gnade lebt. Das wird er nie ganz im Sinne Christi tun können. Aber er kann stets von neuem beginnen und es immer wieder versuchen; denn Jesus Christus hat unsere Sünden, und das heißt auch unsere Schwachheit, unsere Bosheit und das Böse in uns, ja auch unsere Entfernung von Gott auf sich genommen. Gott hat uns vergeben. Das ist unsere Gewißheit und unsere Chance für jeden neuen Versuch. "Für Gott ist es nie zu spät."
Deshalb durften wir heute den Gottesdienst mit dem großen hymnischen Lob Gottes beginnen - dem deutschen TE DEUM LAUDAMUS - Dich, Gott loben wir" (EKG 489 "Großer Gott, wir loben dich ..."; EG 331), deshalb durften wir vor dieser Predigt so fröhlich sein und singen "Mit Freuden zart ..."(EKG 81; EG 108), aber deshalb werden wir auch das Wort Jesu wiedererkennen in unserem Schlußlied "Es kennt der Herr die Seinen ..." (EKG 526; EG 358).
Die Predigt hat heute mit einem Blick auf das Grauenvolle begonnen, das Menschen heute noch denken und tun können. Jetzt schließt sie mit einem Lob Gottes.
Das scheint ein Widerspruch zu sein. Viele Fernerstehende haben kein Verständnis dafür, daß Christen gerade im Blick auf besondere Belastungen Gott loben und voller Freude sein können. Es stößt sie ab, wenn Christen Gott danken und ihn loben können in einer Zeit, in der es ihnen selbst oder überhaupt anderen Menschen in der Welt schlecht geht.
Dieser Widerspruch besteht nur scheinbar. In Wahrheit zeigt sich hier eine große und sehr klare Konsequenz. Gerade weil uns die menschliche Schwachheit so deutlich, das Böse in der Welt so ungemein nahe ist - weil all dies uns trifft, deshalb können wir Gott loben, ja, deshalb müssen wir es sogar um seines Werkes der Liebe und der Vergebung willen.

Unser Gott, lieber Vater,
unsere Welt ist schrecklich und grausam. So hören wir und das erfahren wir auch immer wieder. Gib uns die Gnade, daß wir ebenso erfahren, wie herrlich und schön, wie lebendig und voller Freude unsere Welt ebenfalls ist. Wir brauchen diese Erfahrung, wenn wir hier bestehen und unser Leben unter dein Gesetz stellen wollen. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinnen Jesus Christus. Amen.

Lieder
- "Großer Gott, wir loben dich ..." EKG 489/EG 331
- "Mit Freuden zart ..." EKG 81/EG 108
- "Es kennt der Herr die Seinen ..." EKG 586/EG 358

Materialien

Edward Schweizer: "Das Evangelium nach Lukas"
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht,18.A. 1982, S.116-119
Reihe: Neues Testament Deutsch - NTD - Band 3 -

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