Montag, 5. Januar 2009

Aufgaben und Gaben in der Gemeinde

Gottesdienst am 8.6.1992
Wir hören den Predigttext für den Pfingstmontag des Jahres 1992, und zwar die Worte des Apostels Paulus an die Korinther über die Gnadengaben im l. Kor, 12. 4-11
Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist, einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede, einem andern die Gabe, sie auszulegen. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.
Herr, unser Gott,
das klingt so gut und einleuchtend - jede Begabung kommt von dir allein und ist kein Verdienst des Menschen, jeder Dienst ist in gleicher Weise ein Dienst der Liebe. Die Welt aber, in der wir leben, sieht anders aus. Wir wissen oft nicht, mit welcher Begabung du uns beschenkt hast, manches Mal versagen wir in allem. Die Dienste der Kirche richten sich nach der Nähe zu deinem Wort - und so auch die Hierarchie. Von deiner Gnade spüren wir oft wenig!
Herr, hilf du uns in dieser Welt und in unserer Not
Amen
"Die Presbyter werden immer nachlässiger"
Das ist nicht ein gedruckter Satz - vielleicht aus einem Visitationsbericht. Das ist ein Wort, das so oder so ähnlich in der vergangenen Presbyteriumssitzung gesprochen wurde und die Erfahrung vieler Gemeindemitglieder unserer Gemeinde mit den Presbytern der letzten Amtsperiode beschreibt.
Als Beleg für diese Behauptung wird darauf hingewiesen, daß immer seltener alle Presbyter gemeinsam im Gottesdienst sind und es immer öfter vorkommt, daß überhaupt keiner im Gottesdienst ist.
Wir waren das erste Mal mit den neu gewählten Presbytern zusammen und sprachen über die Aufgaben, die zu tun sind, wie wir sie verteilen untereinander und worauf wir achten müssen. Eine junge Mutter meinte nach dieser Kritik: "Hätte ich gewußt, daß ich jeden Sonntag im Gottesdienst sein müßte, dann hätte ich mich nicht zur Wahl gestellt, denn das kann ich nicht versprechen."
Ja, mit den kirchlichen Ämtern ist das so eine Sache. Anders als bei den Christen in Korinth gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland Gesetze. Eines davon ist die Kirchenordnung. Dort heißt es, daß nur Presbyter werden kann, wer sich durch gewissenhafte Erfüllung der Pflichten evangelischer Gemeindeglieder als treues Glied der Gemeinde bewährt hat (Art. 84, Abs. l KO).
Wer aber sagt, was diese Pflichten sind und wann sich der einzelne bewährt hat? In der Lebenspraxis unserer Kirche ist das nicht anders als in anderen gesellschaftlichen Gruppen - die Leute, die das Sagen haben, die den Überblick und die Einfluß haben, die wissen, wo es lang geht - in der Kirche und mit der Kirche.
In der Regel also ist es bei uns klar, was Sache ist;
Immer wieder geschieht es aber, daß ein Gemeindeglied nicht so sein will oder leben will, wie es dieser allgemeine Anspruch erwartet. Oft auch fühlt sich der einzelne von den Pflichten, die ihm auferlegt werden, überfordert und er zweifelt daran, ob er sie erfüllen kann - und wenn, wie lange seine Kraft reicht.
Auch das ist in der Kirche nicht anders als in den anderen gesellschaftlichen Gruppen - in Parteien, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden. Wir stehen überall einem Leistungsdruck gegenüber, dem wir oft nicht standhalten können, wir begegnen Erwartungen, die wir enttäuschen müssen - und wir werden selbst enttäuscht, wir werden oft allein gelassen.
In der frühchristlichen Gemeinde von Korinth scheint das anders gewesen zu sein. Noch war eine kirchliche Autorität nicht ausgeprägt, Gesetze gab es in der Kirche auch noch nicht und es scheint sogar, als hätten sich die Menschen zum Dienst gedrängt.
Da gibt es Leute, die gut reden können - lebenserfahrene Leute und Wissenschaftler. Da gibt es Heiler, die Menschen gesund machen können und Menschen, die ihren Glauben auf überzeugende Weise leben. Paulus zählt noch viele auf, von deren Fähigkeiten wir heute weniger verstehen als die Empfänger des Paulusbriefs danach.
Anscheinend hat es einen Wettbewerb unter ihnen gegeben, welche dieser Gaben und welches der Ämter nun die wichtigste, die zentrale Gabe ist, von welchem Amt sich die anderen in ihrer Bedeutung ableiten.
Und nun sagt der Apostel etwas völlig Unerwartetes.
Was immer der einzelne in der Christengemeinde tut, es ist der Geist Gottes, der dadurch tätig wird - und er tut es für alle und eben nicht, um den einen vor dem anderen auszuzeichnen, ihn herauszuheben aus der Zahl der vielen anderen. Der Wettbewerb der einzelnen fällt in sich zusammen - tut er das wirklich?
Wir wissen nicht, wie die Korinther in dieser Frage auf die Worte des Apostels reagiert haben.
Ich meine aber, der Wettbewerb der einzelnen wäre nicht überflüssig. Wenn mir viel geschenkt wurde, dann möchte ich schon, daß andere auch etwas davon haben - ich verschenke etwas, ich gebe ab - oder ich nehme jemanden an. Ich helfe - oder ich denke für jemanden anderes mit. Das kann durchaus auch ein Wettstreit sein - die von Gott geschenkten Gaben so wirkungsvoll wie möglich einzusetzen, die Anlagen, die in dem einzelnen von Gott her angelegt sind, so weit, wie es nur geht, zu entwickeln und zu entfalten.
Wenn dies nicht um unsretwillen, sondern um unserer Mitmenschen willen, nicht für das Image unserer so außerordentlich wichtigen und tüchtigen Person, sondern deshalb geschieht, damit die Liebe Gottes durch uns auch andere Menschen erreicht, dann, ja dann ist dies ein Wettbewerb zum Lobe Gottes, den der Apostel nicht verurteilt.
"Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt jedem das Seine zu, wie er will."
(1. Kor: 12.11)
Mit diesem Satz endet unsere Textstelle.
Es ist wichtig zu wissen, was immer wir tun, es kommt von Gott. Sein Geist ist es, der uns bewegt. Alles, was die Menschen tun. hat seinen einen Ursprung in dem einen Gott. Alle menschlichen Begabungen sind ein Geschenk des einen Gottes. Wir können deshalb nicht das eine gegen das andere aufrechnen. Wir können nicht eine Hierarchie aufbauen, ohne gegen Gottes Geist zu handeln.
Dann folgt das andere: Jeder von uns erhält seine eigene Gnadengabe, von Gott - das "Können und Vollbringen", wie es an anderer Stelle heißt. Ich nenne das ganz weltlich "Ja-sagen zu sich selbst, so wie man ist" oder, "sich selbst annehmen". Wenn Gott jedem Menschen seine eigene Begabung geschenkt hat, dann hat es keinen Sinn, darüber zu jammern, daß man nicht so ist wie andere. Wichtiger als der Blick auf andere, der so oft von Neid getrübt wird, ist der Blick in uns hinein. Haben wir denn unsere Begabungen wirklich erkannt und gehen wir pfleglich mit ihnen um?
Von mir muß ich sagen, daß ich das nicht immer tue. Kein Mensch ist vollkommen - aber jeder Mensch darf soviel Verstand haben, das zu wissen.
Gott teilt einem jeden das Seine zu, wie er - Gott - es will.
Niemand kann Gott vorschreiben, wem er welche Gaben und Ämter geben soll - und kein Mensch kann mit Recht die Erwartung haben, daß Gott ihm das eine oder andere schenkt. Gott gibt aus Gnade - und seine Kraft ist die Liebe.
Der Apostel Paulus sagt es im folgenden Kapitel, das mit dem bekannten Satz endet: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung. Liebe, diese drei: aber die Liebe ist die größte unter ihnen (l. Kor. 13, 13).
Wenn wir also unsere Gottesgaben voll entfalten wollen, dann brauchen wir die Kraft der Liebe - der Liebe Gottes zu uns Menschen, der Liebe, die aus dieser Quelle in uns lebendig wird und die wir an andere weitergeben können. -
Das, so glaube ich, können wir nun verstehen.
Warum aber, so werden Sie jetzt fragen, ist die Kirche so, wie sie ist? Warum können wir selbst, die einzelnen Menschen nicht so ganz aus dieser Liebe leben? Die Kirche ist nicht nur eine Einrichtung Gottes, sie ist auch eine ganz irdische, eine weltliche, eine organisatorische Einrichtung der Menschen mit Machtansprüchen und dem Streben nach Einfluß auf das Geschehen in dieser Welt wie jede andere auch. Für diese Welt sind die Hierarchien auch in den christlichen Kirchen geschaffen. Für diese Welt und ihre Macht sind die Gesetze der Kirchen da.
vor Gott gilt das alles nicht!
Das sollen, das müssen wir wissen, wenn wir verantwortlich von Gott und von den Menschen reden wollen!
Vor Gott gilt, was Paulus zu Recht von den Gnadengaben und den Ämtern sagte.
Ich komme zurück auf die Frage nach den Aufgaben des Presbyters. Ob jemand als Christ verantwortungsbewußt handelt, kann man nicht an der Zahl seiner Gottesdienstbesuche messen. Sie kann höchstens ein Anzeichen dafür sein, ob er es mit Gott ernst oder weniger ernst meint.
Viel eher wäre es ein Zeichen für fehlende Eignung oder mangelnde Verantwortung, wenn ein Presbyter lieblos handelte, wenn er Menschen verachten würde oder seinen eigenen Vorteil zum Schaden anderer durchsetzt.
Wichtig scheint mir noch, daß Frage der Gaben der Christen ja alle Christen, alle Menschen gleichermaßen betrifft. Gott hat jedem Menschen seine eigenen Begabungen gegeben. Was also Kritiker der einen äußern, das müßten sie von sich selbst in erster Linie fordern. Wir kennen das Sprichwort vom Glashaus, in dem man sitzt, und von dem aus man nicht andere mit Steinen bewerfen kann, ohne das eigene Haus zu beschädigen.
Nichtsdestotrotz bleibt der Hinweis für die Betroffenen wichtig: Haben wir wirklich alles in unserer Kraft stehende getan, um nach unseren Kräften zu tun. wozu wir berufen wurden?
Am kommenden Freitag tritt die Synode des Kirchenkreises Leverkusen zu ihrer diesjährigen Tagung zusammen. Am Samstag beschäftigt sie sich mit dem Thema "Kirche gemeinsam leben".
In seinem Bericht zur Eröffnung schreibt der Superintendent u. a,
"Nicht Einzelpersonen – Präses, Superintendent, Vorsitzender des Presbyteriums – bestimmen den Weg der Kirche. Es sind die verantwortlichen Gremien von Presbyterium und Synode, die gemeinsam nach dem Weg der Kirche fragen sollen." .
Er spricht später von der steigenden Zahl von Kirchenaustritten und stellt die Frage nach den Ursachen. Eine findet er in den unterschiedlichen Erwartungen der Christen gegenüber ihrer Kirche: Die einen wollen die guten alten Zeiten wieder haben, in denen alles seine Ordnung hatte, die von Gott war. Die anderen wollen eine offene Kirche, die sich verändert und den ganz schwierigen Herausforderungen unserer Zeit - auch in der Zukunft - auf neue Weise antwortet, beweglich, aufmerksam, offen für jede Not der Menschen.
Der Superintendent meint, wir sollten uns gemeinsam mit geistlichen Themen beschäftigen.
Mir scheint das zu wenig - und seine Analyse zu vordergründig zu sein. Er fragt nach der Gestalt, der Ordnung der Kirche.
Ich bin überzeugt, die Menschen fragen nach dem Kern der Botschaft unseres Gottes, der von alter Zeit her die Menschen getragen hat und auch in Zukunft trägt.
Wir alle kennen diesen Kern - aber begegnen ihm so selten mit offenen Herzen und dankbarer Seele. Es ist die Liebe Gottes, die in uns wirkt auch mit dem, was wir an Gaben empfangen haben, und mit dem, was uns an Aufgaben im Leben zuwächst.
Wenn wir doch darauf achten würden - wenn doch unsere Kirche dafür empfänglich bliebe!
Dazu möge uns Gott verhelfen!
Amen

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