Mittwoch, 17. Dezember 2008

Vollendung im Leiden - Jesus Christus

Predigt am 31.03.96 zum Sonntag Palmarum

Predigttext
Wir hören die ersten Verse aus dem 12. Kapitel des Hebräerbriefes:

Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, laßt uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken laßt.

Hebr. 12, 1-3


Herr, unser Gott,
wir spüren täglich, daß unsere Kräfte nicht ausreichen. Wir bitten dich deshalb,
stärke uns, gib uns Geduld und Mut, damit wir vor dir und in dieser Welt als Christen bestehen können.
Amen

Der kurze Predigttext beschreibt die Situation des Christen in der Welt - ohne sie an einen bestimmten Zeitpunkt zu binden.
Wie in einem großen Wettbewerb stehen die Christen zusammen. Der Schreiber des Briefes denkt an einen Wettbewerb in einer der Laufdisziplinen, also in der Leichtathletik. Aller Ballast muß abgeworfen werden. Was uns behindert, müssen wir aufgeben.
Wir laufen nicht für uns allein. Eine „Wolke von Zeugen" beobachtet uns. Sie feuert uns an und begleitet unseren Lauf- nicht ohne Sachkunde. Viele haben bereits früher erfolgreich an diesem Lauf teilgenommen. Nun sind wir dran, ins Ziel zu kommen.
Das Ziel liegt nicht in unermeßlich weiter Ferne, für uns noch nicht zu erkennen. Nein, Jesus hat uns den Weg vorgezeichnet. An ihm können wir Stationen des Weges und auch das Ende des Laufs, unser Ziel, studieren und erkennen, wieviel Geduld, Mut und Kraft für diesen Lauf notwendig sind.
Schließlich ermuntert der Schreiber des Briefes die Leser, nicht nachzulassen, den Mut nicht sinken zu lassen - gerade im Blick auf Jesus selbst.
Jesus wird hier der „Anfänger und Vollender des Glaubens" genannt. Wir dürfen uns diese beiden Eigenschaften Jesu durchaus vorstellen als den Weg von der Krippe in Bethlehem (Weihnachten) über die Kreuzigung auf Golgatha (Karfreitag) bis hin zur Auferstehung (Ostern).
Natürlich ist unser Ziel nicht, wie Jesus zur Rechten Gottes zu sitzen - aber doch, den Weg zu Gott zu finden und in seiner Liebe die Kraft zu gewinnen, die wir brauchen.
„Wege des Leidens - Predigtreihe zur Passion" so lautet die Überschrift der Ankündigung und Einladung zu den Gottesdiensten im Monat März. Äußerer Anlaß für dieses Projekt war die Überlegung, daß die Prediger unserer Gemeinde zu einer inhaltlichen Zusammenarbeit kommen sollten, die über rein organisatorische Abstimmungen hinaus führt. Aus diesen Gesprächen ist auch die Verteilung der Texte entstanden - und so stehen wir, ungewöhnlich für Manfort, in einer thematischen Reihe, die vier Sonntage miteinander verbindet.
Nun sind wir vier völlig verschiedene Menschen - verschieden von Herkunft, Ausbildung, Beruf und Lebenserfahrung. Wir sind ausgeprägt selbständige Menschen - auch in der Verkündigung. Unser Gespräch, das uns inhaltlich einander näher bringt, steht noch am Anfang. Ich selbst habe nicht einmal die Gottesdienste besuchen können, denn ich war krank. Und doch erkennen wir unabhängig voneinander „Wege des Leidens".
Zunächst bleibe ich bei meinen persönlichen Erfahrungen - gerade in den letzten Wochen. Im Krankenhaus fragte mich ein Arzt: „Wenn Sie den Schmerz in einer Skala von 1 bis 10 einordnen sollten, welchen Wert würden Sie ihm jetzt geben?" Ich habe geantwortet: „Wie kann ich das tun? Ich habe keine Erfahrungen mit Schmerzen. Was sollte denn der größte Schmerz sein?" Er meinte: „Wenn einem ein Dolch ins Herz gestoßen und darin umgedreht wird, vielleicht."
Nun frage ich Sie: „Können Sie sich einen solchen Schmerz vorstellen?" Ich kann das nicht. - Später, auf der Station sah ich dann Krebskranke. Ich könnte mir vorstellen, daß deren Schmerzen eine ganz andere Dimension haben als ich sie mit Magengeschwür, Darmentzündung und Nierenkolik hatte.
Weshalb ich das erzähle? Für viele Menschen ist „Leiden" gleichbedeutend mit „Schmerz empfinden". Hier einen Maßstab anlegen zu wollen, ist schwierig.
An einen ganz anderen Schmerz, an eine andere Dimension von Leiden mußte ich bei der Vorbereitung der Predigt denken. Von einem Tag auf den anderen verlor meine Schwester vor Jahren ihren Mann und die beiden Söhne durch einen Verkehrsunfall. Wie kann man mit einem solchen Verlust leben?
Dies sind zwei ganz konkrete, persönliche Beispiele. Sie selbst werden eigene finden. Die unermeßlich große Vielzahl menschlicher Leiden, die durch Krieg und Terror in die Welt getragen werden, sollten wir dabei nicht aus den Augen verlieren.
Die Predigten der vergangenen Sonntage führten uns einige „Wege des Leidens" vor. Da ist zunächst Elia, der verfolgt wird, weil er Gottes Willen erfüllte und die von Gott abgefallenen Priester erschlagen ließ. Bis an die Grenze des Verschmachtens in der Wüste gerät er - und dann errettet ihn Gott. Im l. Buch der Könige heißt es von Elia:
„Er wünschte sich, zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter." l. Kön. 19,3b
Danach schlief Elia ein. Ein Engel weckte ihn und fordert ihn auf zu essen. Brot und Wasser stehen neben ihm - mitten in der Wüste.
Dann hörten wir von dem Dominikaner Heinrich Seuse, der im Mittelalter lebte, und insofern eine moderne Auffassung vertrat, als für ihn Leiden nicht von vornherein eine Strafe Gottes für Sünden des Menschen ist. Er differenziert sehr deutlich - nach Ursache und nach dem Zusammenhang und er trennt auch eingebildete, banale von ernsthaften und schwerwiegenden Leiden.
Für mich wird es schwierig dann, wenn er von christusmäßigem Leiden spricht. Es wird problematisch, wenn wir Menschen uns unmittelbar mit Christus vergleichen.
Heinrich Seuse hilft uns jedenfalls, über diese Dinge nachzudenken.
Aus dem Predigttext an diesem Sonntag sind zwei Sätze besonders hilfreich:
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer
Barmherzigkeit will ich dich sammeln. ...
es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine
Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens
soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Jes.54,7+10
Am vergangenen Sonntag hörten wir nun schon den Verfasser des Hebräerbriefes, der uns im letzten Kapitel vor Augen fuhrt, daß Jesus für die Menschen gelitten hat und uns auffordert, in gleicher Weise bescheiden zu sein und auf uns zu nehmen, was uns auferlegt wird. Schließlich erinnert er uns an das Ziel unseres Lebensweges:
" Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." Hebr.13,14.
Damit sind wir wieder auf das Bild verwiesen, das das Leben des Christen mit einem Leichtathletik-Wettkampf vergleicht - und zwar mit einer Laufdisziplin. Im Sprint sehen wir das Ziel vor uns. Bei Mittel- und Langstrecken wird es schwieriger. Wohin führt uns unser Lebenslauf?
„Vollendung im Leiden- Jesus Christus" heißt nun heute das Thema. Zunächst: Das Leiden Jesu ist vielfältig - nicht nur körperliche Schmerzen und persönliche Herabsetzung erlebt er, auch Einsamkeit und völliges Verlorensein. Ich sagte es schon: Maßstäbe taugen hier nicht. Wer will, wer kann sagen: Hier liegt vorbildliches Leiden vor - dort nicht?
Für mich ist wichtig, daß Gottes Sohn als Zeuge der Liebe Gottes zu uns auf die Erde kam und als Mensch die äußersten Erniedrigungen erlitt - durch Schmerz und Verlorensein hindurch - aber den Weg zu Gott aufgezeigt hat, und zwar für uns alle -ja, daß er selbst zum Weg zu Gottes Liebe und Barmherzigkeit geworden ist.
Jesus Christus ist Vollender des Glaubens, wie es im Predigttext heißt. In ihm findet das Glaubenszeugnis der Christen seinen abschließenden Höhepunkt, der Glaube an Gottes Liebe und Barmherzigkeit seine Erfüllung.
Bei Jesus Christus fuhrt der Weg zur Glaubensvollendung durch das Leiden und auf diese Weise bereitet er auch für uns Menschen diesen Weg.
Zu Beginn des Gottesdienstes sangen wir vom Vertrauen auf Gott in unserer Angst und Not. Vor der Predigt haben wir - im Anschluß an die Lesung aus dem Matthäus-Evangelium - an Jesu Leiden und an unsere Angst gedacht. Nun aber können wir singen „In dir ist Freude, in allem Leide..." - Zum Ende des Gottesdienstes loben wir Gott und sammeln uns unter seinem Namen in der Gewißheit, daß Gott alles Leid dieser Welt überwinden hilft.
Amen.

Materialien:
Strobel, August: „Der Brief an die Hebräer" in NTD 9. Göttingen. V & R. 1981 (12. A.)
S. 79 - 256, bes. S. 229-231

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