Samstag, 27. Dezember 2008

Hoffnung im Chaos

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir hören als Predigttext Verse aus dem Buch des Propheten Micha im 7. Kapitel

Micha 7, 1-7, 18-20
„Ach, es geht mir wie einem, der Obst pflücken will, der im Weinberge Nachlese hält, da man keine Trauben findet zu essen, und ich wollte doch gerne die besten Früchte haben!
Die frommen Leute sind weg in diesem Lande, und die Gerechten sind nicht mehr unter den Leuten. Sie lauern alle auf Blut, ein jeder jagt den ändern, daß er ihn fange.
Ihre Hände sind geschäftig, Böses zu tun. Der Fürst und der Richter fordern Geschenke. Die Gewaltigen reden nach ihrem Mutwillen, um Schaden zu tun, und drehen's, wie sie wollen.
Der Beste unter ihnen ist wie ein Dornstrauch und der Redlichste wie eine Hecke. Aber es kommt der Tag, den deine Späher geschaut haben, da sollst du heimgesucht werden; da werden sie nicht wissen, wo aus noch ein.
Niemand glaube seinem Nächsten, niemand verlasse sich auf einen Freund! Bewahre die Tür deines Mundes vor der, die in deinen Armen schläft!
Denn der Sohn verachtet den Vater, die Tochter widersetzt sich der Mutter, die Schwiegertochter ist wider die Schwiegermutter; und des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen.
Ich aber will auf den HERRN schauen und harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören.
Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erläßt die Schuld denen, die übriggeblieben sind von seinem Erbteil; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er ist barmherzig!
Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.
Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.“


Herr, unser Gott,
Ungerechtigkeit ist in der Welt - auch heute noch. Not bricht immer wieder neu über die Menschen herein. - Wir kommen zu dir und hoffen auf deine Hilfe!
Amen!
Die ökumenische Woche Manfort 1996 endet „... im Chaos."
Erinnern Sie sich der Ankündigungen? Jeder Abend hatte ein Motto:
* Aufmerksam mitgehen
* Recht haben - Unrecht tun
* Schwerter zu Pflugscharen
* Der Friedensfürst
* Hoffnung im Chaos

Ist dies das Ende „ ... im Chaos?"
Wir verstehen unter Chaos einen Zustand der völligen Verwirrung. Nichts gilt mehr. Alles geht drunter und drüber. Niemand weiß, woran er ist.
Viele können begründen, weshalb das auch bei uns, in unserer Gesellschaft heute so ist. Da wird sozialer Fortschritt in sein Gegenteil verkehrt, wenn aus der Sozialversicherung, die eine staatlich geschützte Solidareinrichtung ist, politische Lasten bezahlt werden sollen.
Da wird der gesunde Grundsatz eines freien Markts mißbraucht zu einem bedingungslosen Kampf um immer Mehr.
Da wird der Kampf um Arbeitsplätze mißbraucht, um Staaten zu erpressen und überholte Industrien zu erhalten.
Unsere Zeit hat schon etwas Chaotisches an sich. Das ging dem Propheten Micha auch so. Wir wissen wenig von ihm. Er lebte wohl um das Jahr 700 vor Christus. Zu seiner Zeit war er ein wichtiger Mann, der viel Aufmerksamkeit fand. Die Juden lebten unter der Besatzung der Assyrer. Gerade die Mächtigen unter ihnen entfernten sich von ihrem Gott. Micha klagt:
Die frommen Leute sind weg in diesem Lande und die Gerechten sind nicht mehr unter den Leuten. Ihre Hände sind geschäftig, Böses zu tun. Die Richter fordern Geschenke - sind also bestechlich.
Die Mächtigen reden wie es ihnen gefällt, um anderen zu schaden und sie drehen die Dinge ganz wie sie es wollen. Ja, Micha klagte an: Sie lauern alle auf Blut, ein jeder jagt den anderen, daß er ihn fange! (Micha 7,2 + 3).

Wir brauchen uns kaum darum zu bemühen festzustellen, ob diese Klagen überholt sind.
Denken wir daran, wie heute noch die Welt ausgebeutet wird - ihre Bodenschätze, ihre Landschaften, ihre Menschen. Die großen feindlichen Machtblöcke sind zerfallen. Aber Friede kehrte nicht ein. Bürgerkriege breiten sich wie Brandherde über die Welt aus.
Das Gesetz des Wachstums ist zu seinem eigenen Gefangenen geworden. Die armen Länder können ihre Schulden nicht mehr zahlen. Die reichen erkennen, daß sie abhängiger sind, als sie glaubten.
Und doch bleiben die Gesetze unseres Handelns die alten.
Es ist, als befänden wir uns in einem Tunnel, könnten nicht erkennen, wo wir sind, und sähen nur die nächsten Schritte vor uns.
Vor zehn Jahren entwich einem Atomreaktor in dem ukrainischen Tschernobyl eine radioaktive Wolke, deren Ausläufer sich bis nach Skandinavien und Westeuropa ausbreitete. Für viele war dies Ereignis wie die Flammenschrift an der Wand im Palast des Königs Belsazar, die ihm das Ende seines Reiches ankündigte (Dan. 7). Vor allem die Eltern unter uns werden wissen, mit welchen Sorgen die Maßnahmen diskutiert wurden, um wenigstens die Kinder vor den Folgen dieser Katastrophe zu schützen. - In Frankreich hat man erst vierzehn Tage danach die Möglichkeit einer Gefahr eingeräumt. Dort sollten die Menschen in einem Tunnel leben, der sie die Gefahren dieser Welt nicht erkennen läßt. Und so kennzeichnet der französische Philosoph Andre Glucksmann die Situation: „Am Ende des Tunnels" nennt er sein Buch und erklärt im Untertitel: „Das falsche Denken ging dem katastrophalen Handeln voraus. Eine Bilanz des 20. Jahrhunderts."
Der Prophet Micha hat aber nicht nur geklagt und angeklagt. Er fand auch folgende Worte:
„Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet:
Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen, mit deinem Gott (Einheitsübersetzung Micha 6, 8).“
Bei Martin Luther wird die Aufzählung anders übersetzt:
„Gottes Wort halten, Liebe üben, demütig sein vor deinem Gott.“
Ist dies ein Hinweis, der aus dem Chaos führen könnte? Erinnern wir uns an die Schöpfungsgeschichte.
Gott schuf Himmel und Erde. Die Erde war wüst und leer. Es war finster in der Tiefe. Da sprach Gott: Es werde Licht. Und es war Licht. Und Gott sah, daß es gut war. Nachdem er sein Schöpfungswerk beendet hatte, heißt es: Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. (1. Mos. l, 2 + 3a, 4a, 31a).
Ich habe oft den Eindruck, wir Menschen hielten uns für kleine Götter und könnten es genau so machen. Dabei sind wir nicht Gott - wir eben nicht! Deshalb sollten wir uns auf ihn einlassen -halten wir uns an sein Recht, suchen wir gütig und treu zu sein und gehen wir in Liebe den Weg mit unserem Gott! Doch da gibt es Schwierigkeiten: Wir sind schwache, fehlbare Menschen. Und auch in der Kirche leben nur Menschen, schwach und fehlbar wie wir. -
Bei dieser Gelegenheit greife ich einen Hinweis aus der Ankündigung der ökumenischen Woche 1996 auf. Da heißt es: Eintritt frei. Ich habe zu spät Bedeutung und Konsequenz dieses Hinweises erkannt - auch ich mache Fehler. Natürlich sind Gottesdienste und Bibelabende in beiden Kirchen immer frei und Angebote ohne „Eintritt". Das soll auch in Zukunft so bleiben!
Dagegen bitten wir heute am Ausgang um eine Kollekte für die Allgemeinen Sozialen Dienste der Caritas und des Diakonischen Werkes.
Es ist wohl lange nach Micha seinem Buch ein Zusatz angefügt worden. Die Juden waren ins Exil hinweggeführt worden und wieder zurückgekehrt. Allmählich begannen sie ihren Staat wieder aufzubauen.
Und da beginnt das Loben und Danken gegenüber einem Gott der in all diesen Zeiten sein Volk nicht verlassen hat:
Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erläßt die Schuld denen, die übriggeblieben sind, der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er ist barmherzig. Er wird sich unser erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen (Micha 7, 18-20). *
Mit dieser Zuversicht kann man dann auch nach vorne sehen. Nun kommt Hoffnung auf, daß auch der schwache Mensch seinen Weg mit Gott wird gehen können.
Jetzt möchte ich Sie einladen, Zeichen dieser Hoffnung in unserer Zeit und in Ihrem Leben ausfindig zu machen. Das tun Sie für sich - Sie können ja hören, ob meine Beispiele auch Ihre sein können.
Zeichen dieser Hoffnung sind die Friedensbemühungen in der Welt, wie z. B. im ehemaligen Jugoslawien oder die Friedensanfänge, wie in Palästina, so zerbrechlich diese Hoffnungen im einzelnen auch erscheinen.
Ein weiteres Zeichen ist die Bereitschaft vieler Menschen weltweit, die Augen nicht zu verschließen vor den Gefahren, in denen unsere Welt heute steht: z. B. beim Konziliaren Prozeß für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Denken wir auch an die wachsende Erkenntnis, daß die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit zur zentralen Frage am Ausgang dieses Jahrhunderts wird.
Auch die vielen konkreten Hilfen, die unter uns uneigennützig geleistet werden. Oft kennen wir die Namen dieser Menschen nicht. Auch sie setzen Zeichen der Hoffnung!
Die Zusammenarbeit von Presbyterium und Pfarrgemeinderat hier in Manfort hat sich bewährt. Ich hoffe nur, daß sie sich künftig nicht in der Beratung von Terminkalendern erschöpft.
Gerade Ihre Kirche hat leuchtende Zeichen der Hoffnung gezeigt:
Die Pastoralgespräche haben Wege geöffnet. Daß Frauen nun in einem eigenen Gremium den Erzbischof beraten, ist ein weiteres Zeichen.
Das Kirchenvolksbegehren ist für mich deshalb ein Zeichen der Hoffnung, weil es für den Aufbruch einer ganzen Gesellschaft steht über nationale Grenzen hinweg, einer Gesellschaft, die sich dem Ende des Tunnels gegenüber sieht und nun den Schritt in das grelle Licht wagt.
Auch, daß ich hier stehe, ist für mich ein Zeichen der Hoffnung. Es bewegt mich, daß heute der evangelische Predigthelfer in Ihrer Kirche den Gottesdienst halten und predigen darf.
Was wir in unseren Kirchen tun, das hat Bedeutung für die ganze Welt - nicht, weil wir so bedeutend sind, sondern, weil wichtig ist, was wir tun und weshalb wir es tun.
Überall läßt sich erkennen, daß die bisherigen Institutionen nicht mehr die Probleme unserer Zeit wirklich lösen können. Es sind die einzelnen gefragt, die sich in freier Verantwortung der Gemeinschaft verpflichtet fühlen und unser Gewissen vor Verarmung bewahren (Guehenno).
Wenn wir uns darauf einlassen können, dann wird auch für uns ein Weg aus dem Chaos führen. Gott gebe uns allen Einsicht, Mut und Kraft dazu.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen

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