Freitag, 19. Dezember 2008

Die Freude am Herrn ist eure Stärke

Bibelsonntag 30.1.1994

Predigttext:
Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.
Nehemia 8, 10b

Lieber himmlischer Vater,
unser Kummer bedrückt uns und viele von uns weichen den Kümmernissen ihres Lebens aus, damit sie sich noch freuen können. Freude an dir wird immer seltener. Gesucht wird die Freude an der Welt und in der Welt.
Lass du uns das Wort des Nehemia recht verstehen. Öffne unsere Ohren und Herzen, damit wir den Weg zu dir finden und Kraft gewinnen, ihn zu gehen.
Amen

Wer ist dieser geheimnisvolle Nehemia, von dem wohl die wenigsten unter uns gehört haben? Er ist Jude und nach Beendigung der babylonischen Gefangenschaft in Babylon zurückgeblieben. Dort hat er das Vertrauen des Königs gewonnen und wurde Mundschenk. Eines Tages erhält Nehemia Besuch von seinem Bruder Hanani und lässt sich von der Heimat berichten. Dieser Bericht betrübt ihn sehr und er betet zu Gott. Er hat drei große Bitten. Gott möge dem Volk der Juden die Sünden der Vergangenheit verzeihen und ihnen wieder den Weg zu ihm zeigen, er möge ihm, Nehemia, die Kraft geben, dafür einzutreten und schließlich möge Gott dem König ein offenes Ohr geben, damit er den Nehemia für diese Aufgabe freistellt.
Einige von uns haben in der ökumenischen Woche (17. - 21.01.1994) gemeinsam mit Pfarrer Dr. Froitzhein von St. Joseph das Gebet Abrahams gelesen und besprochen, in dem sich Abraham für die Menschen in Sodom einsetzt. Ähnlich nachhaltig setzt sich Nehemia für das Volk der Juden ein (Nehemia l, 5-11).
Der Herr erhört dies Gebet. Nehemia kann mit Vollmachten des Königs versehen nach Jerusalem reisen und in seinem Auftrag die Stadt wieder aufbauen. Später wird Nehemia sogar des Königs Stadthalter in Jerusalem.
Nehemia hatte viele Feinde und die Juden waren nicht alle begeistert davon, dass nun jemand kam, der die alten Gesetze zu neuer Geltung bringen wollte. Viele hatten sich - durchaus entfernt von Gott - ganz gut eingerichtet. Andere stöhnten - aber fanden nicht die Kraft sich aufzulehnen. Nehemia fand eine Aufgabe, die alle Juden zu einem gemeinsamen Werk vereinte: Die Mauer um die Stadt sollte neu aufgebaut werden. Nehemia beendete die Not der Ausgebeuteten. Schließlich fand Nehemia viel Anklang als er dem Gottesdienst zu seiner zentralen Bedeutung für das Leben der Juden verhalf. Dies alles war erfolgreich. Die Mauer war gebaut, die Ausbeutung unter den Juden weitgehend beseitigt und auch der Gottesdienst hatte seinen Platz bekommen - da versammelt sich das Volk, um das Wort Gottes, in der Bibel heißt es wörtlich "das Gesetz - das Mose, das Gott den Israeliten gegeben hatte", zu hören. Der Schriftgelehrte Esra las den ganzen Tag über aus dem Buch vor und viele Leviten legten das, was darin gesagt war, dem Volke aus, damit sie auch alle verstehen konnten, was Gott gemeint hatte. Da wurden sie alle traurig, denn sie erkannten jetzt, wie weit sie sich von Gott entfernt hatten. Esra, Nehemia und die Leviten trösteten das Volk und forderten sie auf, ein großes Fest zu feiern und sich zu freuen: ... Heute ist ein Festtag zur Ehre "eures Gottes!"
Und erst dann folgt der Satz, der heute unser Predigttext ist: Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.
Jetzt können wir uns vielleicht vorstellen, was mit diesem Satz gemeint ist.
Vergrabt euch nicht in euern Kummer! Zieht euch nicht zurück, verschließt euch nicht der Welt mit ihren Freuden, baut um euch her nicht eine Mauer auf aus Kummer, Sorgen und Angst!
Ich möchte nicht gern den neueren Übersetzungen folgen, in denen es z. B. heißt "Macht euch keine Sorgen ..." - etwa in der "Einheitsübersetzung" und in der "Bibel in heutigem Deutsch". Nehemia und diejenigen, die ihn unterstützen, haben doch gerade zu dieser Versammlung aufgerufen, damit sich das Volk seiner Situation bewusst wird. Das ganze Aufbauwerk des Nehemia ist doch daraufgestützt, dass immer größere Teile des Volkes Israel erkennen, wie weit sie sich von Gott entfernt haben und aus dieser Erkenntnis heraus die Kraft zur Umkehr gewinnen. Das geht nicht ohne Kummer und Angst. Nein, sie verschütten diesen Kraftquell nicht und werfen den Motor nicht weg, der die bisherigen Erfolge ermöglichte.
Nehemia und seine Leute sagen dem Volk nur, dass es seine Kraft nicht nutzlos verbrauchen soll, seinen Motor Zeit zum Auftanken geben soll und - dass sich das Volk darüber freuen und dafür danken soll, dass es den Weg zur Umkehr gefunden hat und sich an seinem Gott freuen kann. -
Das alles geschah etwa in den Jahren um 440 bis 430 vor Christi Geburt, also vor etwa 2.400 Jahren.
Ist dies alles aber wirklich so weit von uns entfernt?
Tatsächlich ist in unserer schnelllebigen Zeit eine Epoche von 2.400 Jahren ein nahezu unvorstellbarer Zeitraum . -
Und doch frage ich mich, weshalb heute ein so großes Interesse an den Dinosauriern besteht, die doch in einer Zeit lebten, die noch viel unvorstellbarer weiter zurückliegt. Vor 208 Mio Jahren entstanden die ersten Dinosaurier und vor 65 Mio Jahren starben die letzten aus. Ein Artikel, der sich beim Gemeindefest am besten verkaufte im letzten Jahr, das waren Nachbildungen von Dinosauriern.
Vor 2 Mio Jahren entstand der erste Mensch. Man hat die Entwicklungsgeschichte einzelner Tiergattungen untersucht. Pferde- und Raubtiergattungen sollen ein Alter von 5 bis 9 Mio Jahren erreichen, ein bestimmter Süßwasserkrebs sogar 190 Mio Jahre. Da ist es verständlich, wenn es über den Menschen heißt, dass er seine Evolution erst vor allerjüngster Zeit begonnen hat.
Warum berichte ich davon?
Ein Zeitraum von 2.400 Jahren ist nicht so weit entfernt oder so langweilig, wie es uns zunächst erscheint. Der erste Eindruck trifft zu auf die Maße, die für das Leben des einzelnen Menschen gelten. Als einzelne braucht es uns nicht zu interessieren, was vor uns war oder nach uns kommt.
Unser Leben aber wird erst dann wesentlich und gewinnt einen Inhalt, wenn wir es in den Zusammenhang einer Entwicklung stellen, bei der wir - und zwar jeder einzelne von uns - ein Bindeglied sind zwischen dem, was vor uns war und dem, was nach uns kommt.
Ein Zeugnis solcher Entwicklung ist die Bibel, in der das Glaubensbekenntnis von Menschen über eine Zeitspanne von 2.000 Jahren belegt und überliefert wird. Seit die Bibel besteht, hat sich die Menschheit mit ihr und den in ihr dokumentierten Glaubenszeugnissen auseinandergesetzt. Auch darüber gibt es Belege. So überblicken wir einen Zeitraum von 4.000 Jahre in der Tradition jüdisch-christlichen Glaubens.
Kern dieser Glaubenstradition ist die Erfahrung der Menschen all diese vielen Generationen hindurch, dass Gott sie nicht verlassen hat - und nicht verlassen wird. Seit Jesu Geburt, Leiden, Opfertod und Auferstehung aber wissen wir, dass Gott uns liebt - und in Liebe trägt, auch die Not und den Kummer unseres persönlichen Lebens oder der Menschen überhaupt.
Das ist ein Grund, für uns selbst den Zugang zur Bibel zu suchen und von der Liebe Gottes her zu leben. Wir existieren aber nicht als einzelne - immer sind wir zugleich von anderen umgeben. Für sie sind wir dann die anderen.
Wenn uns Vergangenheit und Zukunft abhanden kommen, wenn bei uns das Leben seinen Sinn verliert, dann hat das Wirkungen auf das Leben auch der anderen Menschen. Zur Zeit erleben wir eine ähnliche Situation im Zusammenhang mit der deutschen Einigung.
Auch die Nähe der Jahrtausendwende lässt uns nach dem Sinn unseres Lebens fragen. Trägt auch in der Zukunft, was uns bisher Kraft gab? -
Ich wende mich wieder Nehemia zu. - Erst in der Vorbereitung zu diesem Gottesdienst las ich dieses Buch der Bibel, das mir bisher nur vom Namen her bekannt war.
Nehemia war kein Theologe, kein Prophet - niemand, mit dem Gott gesprochen hätte, wie er mit Abraham, Mose, Jesaja sprach. Nehemia war ein frommer Jude und er verehrte seinen Gott. Er betete inständig zu ihm. Zugleich aber war Nehemia ein Mann der Welt. Er war ein hoher Würdenträger am Hofe des persischen Königs Artaxerxes (465 - 424) und später wurde er Statthalter des persischen Königs in Jerusalem. Er baute die Stadt auf und organisierte das staatliche und kirchliche Leben neu. Er setzte sich gegen seine Feinde durch.
Ich habe versucht mir vorzustellen, welche Persönlichkeit unserer Tage dem Nehemia wohl
vergleichbar wäre. Vergleiche treffen nie zu - aber sie erhellen manchmal, worauf es im Kern
ankommt. |
Hier im Rheinland, in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Köln könnte man sich vorstellen, dass der Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes eine Art Nehemia-Figur sein könnte. Sein Versuch, die 100-Stundenkilometer-Grenze auf dem Autobahnring um Köln einzuführen, kann man vielleicht - ganz entfernt - mit dem Bau der Stadtmauer um Jerusalem vergleichen.
Dieser Vergleich hat absolute Grenzen.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau ist kein Kaiser Artaxerxes oder einer seiner Nachfolger.
Ich würde dennoch ganz gerne einmal zuhören, wenn der bibelfeste Johannes Rau und sein volkstümlicher Regierungspräsident von Köln Franz-Josef Antwerpes über die Gestalt und das Werk des Nehemia diskutieren sollten.
Sie sehen, was in der Bibel berichtet und bezeugt wird, ist so blutleer und überholt nicht, wie es manchem scheint. Wir brauchen nur die passenden Schlüssel, um den Zugang zum Inhalt der Bibel zu finden. Ein Schlüssel sind die Worte, die uns, z. B. in den Predigten, begegnen. Heute ist es Nehemia. "... denn die Freude am Herrn ist eure Stärke."
In der Jahreshauptversammlung der Frauenhilfe habe ich von der Freude gesprochen, von der Fröhlichkeit, mit der die Frauen die verschiedenen Dienste in der Gemeinde tun - am deutlichsten wird das beim Gemeindefest. Dabei haben sie alle ihre Päckchen zu tragen - das Alter, die Gesundheit, Familienprobleme - wer weiß das alles? - Aber sie sind nicht bekümmert, sondern haben etwas erfahren von der "Freude am Herrn".
In der Arbeitshilfe für den Bibelsonntag wird als Thema vorgeschlagen "Was die Freude an Gott aus uns machen könnte".
Ich habe das Thema so nicht übernommen aus zwei Gründen:
Zum ersten ist es doch wichtig, mehr von der Bibel zu erfahren und von dem Mann, von dem dies Wort berichtet wird. Wenn dies alles für uns nur Vergangenheit bleibt, kann es für unsere Zukunft nicht viel bedeuten.
Zum weiteren hat das Presbyterium im Dezember des vergangenen Jahres beschlossen, das Predigtwort des heutigen Tages zum Jahresthema der Gemeindearbeit zu machen. Deshalb lade ich Sie alle ein - zu Hause für sich, in der Familie, im Beruf und vor allem in den Gruppen unserer Gemeinde herauszufinden, was die Freude am Herrn aus uns machen könnte.
Die Frauenhilfe weiß, dass jüngere Frauen; zu ihr stoßen könnten und neue Anregungen in die Arbeit einbringen. Der Singkreis weiß, dass auch hier noch viele Sängerinnen und Sänger viel Freude bereiten können - vielleicht muss auch er seine bisherige Arbeit in manchen Dingen umstellen. Die Gemeindebibliothek verändert ihr Gesicht und viele Mitarbeiter werden gebraucht, damit Menschen neu an die Bücher herangeführt werden können. ... Es wäre noch viel zu sagen. Versuchen wir anzufangen!
Die Bibelausstellung im Gemeindesaal ist ein Anfang, meine Einladung zum Nachgespräch ein weiterer. Erfüllen wir das Wort der Schrift mit neuem Leben:
Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.
Amen

Zu den Personen und zur Zeit:
Nehemia
Esra
Ataxerxes
Babylonisches Exil der Juden
Antwerpes
Johannes Rau


Materialien

Deutsche Bibelgesellschaft (Evangelisches Bibelwerk) und Katholisches Bibelwerk (Hrsg.)
"Was die Freude an Gott aus uns machen könnte. Materialheft für Gottesdienst und Gemeindearbeit" Stuttgart 1993, 95 S.
Bibeltexte:
Luther '84, Einheitsübersetzung '80,
Bibel in heutigem Deutsch (BHD) = Die gute Nachricht '82,
Zürcher Bibel (1931), Bruns (1964)
"Die Welt der Bibel", Wuppertal 1980, 328 S.
Die evangelischen Bibelgesellschaften und die katholischen Bibelwerke in Deutschland (Hrsg.) "Riskanter Glaube. Geschichten um Sara und Abraham" aus Mos/Gen. Ziff. 5„ S. 20-23 (Ökumenische Woche Manfort: "Wege wagen - Gottes Geschichte mit Sara und Abraham")
Lambert; David: "Der große Bildatlas der Dinosaurier", München, Mosaik-Verlag 1993, S. 12
Probst, Ernst und Raymund Windolf : "Dinosaurier in Deutschland", München, Berteismann 1993
Ploetz, Karl: "Auszug aus der Geschichte", Würzburg, 27. A 1968, S. 6„ 12, 92-98
Keller, Werner: "Und die Bibel hat doch recht", Düsseldorf, Econ 1955, Ausgabe Europäischer Buch- und Phonoklub Reinland Mohn, Stuttgart, o. J. S. 26-41, 95, 126 ff.
Neher, Andre: "Moses" mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten Reinbeck Rowohlt 1964
rowohlts monographien 94
Gunneweg, Antonius H. J.: "Geschichte Israels. Von den Anfängen bis Bar Kochba und von Theodor Herzl bis zur Gegenwart", Stuttgart, Kohlhammer 6. A. 1989, S. 18-39, 234 ff

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