Montag, 29. Dezember 2008

Passionsandacht 16.2.1994

In der Lesung hörten wir zwei ganz unterschiedliche Berichte aus der frohen Botschaft nach Johannes. Beide sind uns sehr vertraut, weil wir sie in jedem Jahr mindestens einmal hören: Die Salbung Jesu in Bethanien durch Maria, die Schwester des Lazarus (Joh. 12, 1-11) und den Einzug Jesu in Jerusalem (Joh. 12, 12-19).
In den Passionsgottesdiensten pflegen die Prediger über einige Verse aus der Bibel zu sprechen. Heute möchte ich Sie einladen, sich auf die Botschaft beider Berichte einzulassen. Damit wir aber einige Anhaltspunkte haben, nenne ich zwei Sätze.
Aus dem Bericht über die Salbung:
"Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls." Joh. 12, 3
Aus den Bericht über den Einzug:
"Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!"
Joh. 12, 13
Als ich das erste Mal über die Salbung in Bethanien predigte, faßte ich das, was uns diese Geschichte zu sagen hat in zwei Sätze zusammen:
Wir sollen Gott lieben - und wir sollen unseren Mitmenschen lieben. Für einen Christen ist das nicht zu trennen. i
Ich fuhr dann fort:
Wir sollen diese Liebe zeigen. Das können wir wortlos tun, wie Maria es in unserer Geschichte tat. Aber wir können es auch in einem Wort sagen, das Gott, das unser Gegenüber hier auf Erden erreicht ... ." (Pass. Andacht am 8.2. 1978)
Das war vor 16 Jahren - in einer Passionsandacht zum gleichen Johannestext wie heute. Im Kern kann ich heute nur das Gleiche sagen. Die Botschaft Gottes ist viel zu einfach und zu wahrhaftig, als daß es vieler Wort bedürfte, um sie auszudrücken. Nicht Gott und nicht Jesus sind das Problem, wir selbst verschließen uns den Zugang zu dem, was Gott uns sagen will.
Am Bibelsonntag (20.01.94) habe ich gesagt, daß wir Schlüssel brauchen, um - jeder für sich - den Zugang zu Gottes Botschaft wieder zu finden. Ich habe gesagt, das könnten Worte der Schrift sein, die auf uns wirken, die uns in unserer aktuellen Lebenslage treffen. Das Wort des Nehemia ist nach meiner Überzeugung ein solches Wort. "Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!" (Nehemia 8, 10)
Im neuen Gemeindebrief finden Sie es abgedruckt im zweiten Teil nach den Altersjubilaren und vor den Konfirmanden. - Vielleicht ist es tatsächlich eine hilfreiche Verbindung zwischen den Alten und den Jungen?
Es gibt aber noch andere Schlüssel, die uns den Zugang zu Gottes Botschaft aufschließen können. Das könnten z. B. Fragen sein, die uns bewegen und auf Kraftquellen in dem Glaubenszeugnissen der Bibel hinweisen. Von einer solchen Frage sprach ich am Bibelsonntag auch: Was die Freude an Gott aus uns machen könnte - oder als Frage direkt gestellt: Was könnte die Freude an Gott aus uns - aus Ihnen, aus mir, aus uns allen gemeinsam - machen?
Die Freude an Gott kommt aus der Liebe - die er uns bezeugt und die wir ihm wiederum bezeugen.
Aber was geschieht mit uns, wenn diese Freude uns erreicht?
Heute sind es Maria und das Volk in Jerusalem, die uns eine Antwort von vielen auf diese Frage geben können.
Maria handelt still, für andere unerhört verschwenderisch und voller Hingabe an die Person, die sie liebt. Ich weiß nicht, ob wir uns so konzentrieren könnten wie Maria. Sie hört und spürt nichts von der Unruhe um sie her - und wenn, dann nimmt sie diese nicht zur Kenntnis. Ja vielleicht hört sie nicht einmal Jesu Worte, mit denen er den beunruhigt fragenden und drängenden Jünger auf das kommende Geschehen hinweist: Laß sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit. (Joh. 12, 7 + 8)
Vielleicht - ja wahrscheinlich ist ihr auch nicht bewußt, weshalb sie auf diese Weise Jesu Füße salbt. Sie tut es, weil sie es tun muß. Soweit wir es erkennen können, ist es eine Tat der liebenden Hinwendung zu Jesus.
Ist es dies, was die Freude an Gott aus uns machen kann?

Im zweiten Bericht geht es ganz anders zu. "Die große Menge", so heißt es (Joh. 12, 12) geht Jesus entgegen, nimmt Palmzweige und die Menschen rufen ihm zu: "Hosianna! Gelobt sei, der da kommt, im Namen des Herrn, der König von Israel". (Joh. 12,13)
Das sind nicht Worte, die ihnen so einfallen. Auch hier wäre es denkbar, daß die Menschen, die so rufen, nicht wissen, weshalb sie das tun und was dies bedeutet. Die Worte sind fester Bestandteil eines Einholungszeremoniells, mit dem der König begrüßt wird. "Hosianna!" bedeutet eigentlich "Hilf uns doch!" - Es ist bei uns weithin zu einem Jubelruf geworden. Ursprünglich galten diese Worte nur den weltlichen Herrschern, aber die Propheten haben schon verwiesen auf einen Messias, der Friede bringt und den Kriegsbogen (Waffen) zerbricht (vgl. Sach. 9, 9 ff). Unverkennbar bleibt aber die Freude. Und auf sie kommt es an - die laute, jubelnde Freude, die Festesfreude mit schmückenden Zweigen und Festumzügen.
Ist es dies, was die Freude an Gott aus uns machen kann?

Ich denke, Gott kann beides tun - uns still werden lassen zur konzentrierten Hingabe und dann wieder uns jubelnd, laut springend und singend durch die Straßen ziehen lassen, voller ausgelassener Freude.
Ich habe den Eindruck, die auslösenden und prägenden Motive für das Verhalten der Menschen liegen nicht in den handelnden Personen, sondern außerhalb - in beiden Fällen wenden sich die Menschen Jesus zu und konzentrieren sich auf ihn. Sie selbst werden vor ihm unwichtig und treten für sich selbst gern in den Hintergrund. Auch das kann die Freude am Herrn bewirken.

Ich könnte mir denken, daß es manchem von uns ähnlich geht wie mir. Die stille absolute Konzentration der Maria brächte ich ebenso wenig auf, wie die unbefangene jubelnde Freude der Menge, die Jesus entgegenzieht.
In einem Bericht über die Bedeutung der Person Jesu in seinem Leben stellt ein Pfarrer fest. An Jesus wurde zunehmend interessant, was er praktisch bei Christen bewirkt. (Volkmar Deile: "Starb Jesus in Auschwitz" in: Hartmut Weber (Hrsg.): „Was sagen die Leute, wer ich sei?" Stuttgart 1985, S. 85)
So dürfte es uns auch heute, zu Beginn der Reihe von sieben Passionsandachten gehen. Die Freude am Herrn läßt Passivität, läßt fromme Gefühle allein nicht zu. Sie führt zwangsläufig zu Veränderungen und zum Handeln - und sie tut das auf unterschiedliche Weise.
Wir können und wir brauchen uns selbst nun nicht am Handeln und Tun der Zeitgenossen Jesu zu messen. Aber wir können und sollen uns fragen, was das Geschehen der Passion in uns und mit uns in dieser Welt bewirkt.
Für heute ist dies der Sinn und der Auftrag der beiden Geschichten aus dem neuen Testament.
Amen

Prediger: Böhme, Leverkusen-Manfort

Materialien
Schulz,, Siegfried: "Das Evangelium nach Johannes", Göttingen,, Vandenhoeck & Ruprecht, 14. A., S. 163-165, NTD Bd. 4

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