Samstag, 4. April 2009

Gutes und Böses - in uns selbst und in anderen

Gottesdienst im Altersheim Burscheid am 29.06.1996, dem Vortag des 4. Sonntags nach Trinitatis

Kanzelgruß

Wir hören einige Verse aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Rom, und zwar das Ende des 12. Kapitels:
(17) Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
(18) Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen
Menschen Frieden.
(19) Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum
dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35):
"Die Rache ist mein; ich will vergelten-, spricht der Herr."
(20) Vielmehr, wenn deinem Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet
ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du
feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln"(Spr. 25, 21.22).
(21) Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern- überwinde
das Böse mit Gutem.
Röm. 12, 17 - 21

O Herr,
wie übermächtig ist doch das Böse in der Welt - und oft genug auch in uns selbst! Wie schwach ist aber auch das Gute in der Welt - und auch in uns selbst? -
Was sollen wir alles und was können wir wirklich tun? Wir bitten dich, hilf uns auf den Weg!
Amen.

" ... überwinde das Böse mit Gutem" - Röm 12,21
Diese letzten Worte erinnern uns an die Bergpredigt Jesu. Dort sagt er: "Ihr habt gehört, daß gesagt ist: 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar - Mt. 5,38f -. Jesus bezieht sich auf das 2. Buch Mose 21, 23f.: "Entsteht ein dauernder Schaden, dann sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß ..."

Da haben wir ein ganzes Bündel an Bibelzitaten, mit denen den Christen heute ihre Weltfremdheit vorgehalten wird.
Es scheint so einfach, daß Gleiches mit Gleichem vergolten werden soll. Wie kann man auf die absurde Idee kommen, dem Bösen mit Gutem zu begegnen. Andererseits frage ich Sie, ob es denn sein kann, daß Christen Böses mit Bösem vergelten?

Damit wir ganz klar sehen:
Das Wort aus dem Alten Testament ist ein Rechtsgrundsatz, der tatsächlich Rechtsgleichheit herstellen und unverhältnismäßig hohe Strafen verhindern sollte.
Es galt die hemmungslose Blutrache einzudämmen. Noch heute hören wir gelegentlich, zu welchen Auswirkungen das Recht der Blutrache führen kann.
"Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären ...", sagt Qctavio Piccolomini zu seinem Max über den beabsichtigten Verrat des Wallenstein (Übertritt vom österreichischen Kaiser zum schwedischen König Gustav Adolf) in Friedrich von Schiller "Die Piccolomini", V. Aufzug, 1. Auftritt (RECLAM UB 41, S. 122)

In unserem Fall aber geht es um keine Rechtsfrage. Das 12. Kapitel des Römerbriefes trägt in meiner Bibelausgabe die Überschrift: "Das Leben als Gottesdienst" und unser Unterabschnitt "Das Leben der Gemeinde".
Es geht hier um das Leben in dieser Welt vor Gott - und um den Umgang miteinander. Der Textabschnitt, dessen Ende der Predigt heute zugrunde liegt, beginnt mit dem Satz: "Die Liebe sei ohne Falsch." Es geht um die Liebe im Umgang mit den anderen. Es geht darum, daß die Liebe, die Gott uns zugewandt hat, auch unter uns lebendig wird. Das ist gemeint, wenn der Apostel schreibt, wir sollten nicht Böses mit Bösem vergelten, auf Gutes bedacht sein gegenüber jedermann. Wir können es die tätige Liebe nennen, zu der wir aufgerufen sind.
Aber auch das weiß der Apostel: Nicht immer können wir so handeln, wie wir es wollen oder wie wir es sollen. "Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden." Zu "allen Menschen" gehören auch die schwierigen, unzugänglichen, die abstoßenden. Da können wir oft nicht - wie wir sollten. Und dennoch bleibt dieser Hinweis erhalten, er wird nicht hinfällig - auch nicht eingeschränkt!
Schließlich kommt auch Paulus auf die Rache zu sprechen - und er empfiehlt den Christen, sich nicht selbst zu rächen. Hier sollen wir, so meint er, Gott freie Hand lassen.
Ich denke, wir hier, denken wohl kaum daran, uns an anderen zu rächen, so, wie es das Alte Testament im Mose-Gesetz andeutete. Nein, aber so ein kleines bißchen gibt es dann doch: "Warte! Das zahle ich doch noch einmal heim!" – „Du sollst mich nicht umsonst geärgert haben - du wirst dich noch wundern!" Da steckt dieses Vergelten, dieser Rachegedanke doch im Kern noch in uns. Wir sind nicht besser als andere - wir all a sind unvollkommene Menschen. Und deshalb machen wir uns das Leben oft schwer.
Sie werden das hier im Hause oft erleben - so ist das Leben nun einmal. Es ist gut, das zu erkennen. Wie schnell macht man sich ein Idealbild von einem Menschen und ist dann oft fassungslos, wenn man erfährt, daß auch er nur - ein Mensch ist. Man könnte das, sagt ein Ausleger dieser Stelle, an der Geschichte vieler Problem-Ehen verdeutlichen: die Sicherungen brannten durch, als einer von beiden (oder beide) entdeckten, daß man einen Sünder geheiratet hatte. Er fährt dann fort: Das hätte man vorher wissen können und sollen.
Und nun stellt sich die Frage, wie wir mit dieser Aufforderung des Apostels umgehen sollen. Das eine haben wir gehört: Wir sind allemal Sünder, das heißt unvollkommene Menschen. Dazu gehört aber auch das andere: Jeder Mensch lebt sein eigenes Leben, hat seine eigene Geschichte, seine eigene Biographie - und ist eine eigene Persönlichkeit. Wir können und dürfen von ihm nicht verlangen, daß er nach unseren persönlichen Maßstäben lebt. Das vergessen wir sehr leicht.
Was das bedeutet, können wir wohl selten so anschaulich erleben wie hier in diesem Raume. Wieviele Lebensjahre mögen hier versammelt sein? Da sind die vielen, die hier wohnen, mit reicher Lebenserfahrung, vom Schicksal geschlagen oder verwöhnt, durch manches Tal gegangen und über Höhen geschritten. Enttäuschungen und Entbehrungen, Erfolge und Bestätigungen eines langen Lebens prägen auch das Leben mit Gott - für die einen intensiver, für die anderen weniger stark. Nicht so viele Lebensjahre und weniger an Lebenserfahrung bringen diejenigen mit, die hier arbeiten. Sie haben dafür einen frischen Lebensmut und manche auch unverbrauchte körperliche Kraft. Jeder von ihnen lebt sein eigenes Leben - sieht die Welt mit eigenen Augen, und nicht nur die Welt, sondern auch sein Leben mit Gott.
Und dieses Leben - davon können wir ausgehen - ist ein Leben, das von Jesus her von aller Sünde entlastet ist. Jetzt ist es an uns, all das Unvollkommene an uns selbst und an unseren Mitmenschen anzunehmen. Das ist nicht leicht. Vielleicht hilft uns der Gedanke und auch die Erfahrung, daß Gottes Liebe und Vergebung unsere Sünde unschädlich gemacht hat. So sehr wir uns von Gott entfernen - er bleibt in unserer Nähe,
Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Ja, das ist die Konsequenz aus dem bisher Gesagten. Es ist kein Gesetz, Es ist ein Hinweis, ein Wegweiser zu Gott. Für mich ist es sehr überzeugend, daß hier die Christen zum Handeln aufgefordert werden, daß Christen Initiative ergreifen und eben nicht blind reagieren sollen. Wir selbst sollen das Gesetz des Handelns ergreifen - und uns nicht im Geringsten beirren lassen von dem Bösen um uns her.
Ob uns das gelingt? -
Ich habe die Sorge, daß heute oft nicht mehr zu erkennen ist, was denn nun gut oder böse ist. Immer stärker überlagert das eine das andere und immer wieder wird für gut ausgegeben, was nicht selten böse ist.
Ich halte mich an einen Hinweis von Jesus, der uns gesagt hat, daß unsere Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen das Höchste ist, das wir für Gott und für uns tun sollen. Was vor der Liebe Gottes zu uns und vor der Liebe unter allen Menschen bestehen kann, das ist das Gute. Und böse ist, was dieser Liebe widerstrebt. Kann diese Regel im praktischen Leben bestehen? - Sie ist ein Kompaß, an dem ich mich ausrichten kann. Ob ich diesen Kompaß nutze, das liegt bei mir. -

Ja, Herr,
an mir liegt es, dir nachzufolgen und deine Liebe in die Welt zu tragen. Oft fällt es mir schwer - und immer wieder geht es daneben. Dennoch weiß ich, daß du mir Kraft gibst, immer wieder von neuem zu beginnen. Verlaß mich nicht!
Amen

Kanzelsegen

Lieder
EKG 129 Tut mir auf die schöne Pforte ... eg 165
EKG 383 0 Gott, du frommer Gott ... eg 495
EKG 509 So jemand spricht ...eg 412
EKG 526 Es kennt der Herr die Seinen ... eg 358

Materialien
Althaus, Paul
"Der Brief an die Römer"
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.13.A.1978, S. 127 - 129
Das Neue Testament Deutsch - NTD - Band 6
Barth, Karl
- "Kurze Erklärung des Römerbriefes" München. Kaiser. 3.A.1964 (1956)
S. 187 - 191
- "Der Römerbrief (Zweite Fassung )" (1922). Zürich. Theologischer
Verlag. 15. A. 1989, S. 485 - 506
Jonas, Hans
"Der Gottesbegriff nach Auschwitz Frankfurt/Main , Suhrkamp. 3. A. 1988
S.47 suhrkamp taschenbuch 1516
Filip, Ota in "Assoziationen” Band 6; 1, A. 1983, S. 157 f
Noth, Martin
"Das 2. Buch Mose (Exodus)“
Göttingen, V & R. 7.A. 1984, S. 136 – 157

Altes Testament Deutsch - ATD - Band 5
Schweizer, Eduard
"Das Evangelium nach Matthäus"
Göttingen, V & R, 15. A. 1981, S. 78 - 80; NTD Band 2
Schiller, Friedrich von "Die Piccolomini"
Meyer, Conrad Ferdinand
"Die Füße im Feuer" ("Mein ist die Rache", spricht Gott)
Westermann, Claus
"Das Buch Jesaja Kapitel 40 - 66"
Göttingen. V & R. 4.A. 1981, S. 41 - 53; ATD Band 19

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